| Pressemeldung

Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann (Mainz), zur Veröffentlichung der Enzyklika "Centesimus annus" von Papst Johannes Paul II. zum 100. Jahrestag von "Rerum novarum", veröffentlicht am 02.05.1991

Erwartungsgemäß hat Papst Johannes Paul II. zum 100. Jubiläum der ersten großen Sozialenzyklika Rerum novarum ein eigenes Weltrundschreiben mit den Anfangsworten „Der 100. Jahrestag“ (Centesimus annus) am 2. Mai 1991 in Rom veröffentlicht. Es ist nach den Enzykliken Laborem exercens aus dem Jahre 1981 und Sollicitudo rei socialis von 1987 das dritte große Dokument der Sozialverkündigung des gegenwärtigen Papstes.

Der umfangreiche Text, der in sechs Kapiteln gegliedert ist, gibt nicht nur, wie es sich aus dem Anlaß des Jubiläums ergibt, einen Rückblick auf die zentralen Beiträge der ersten großen Sozialenzyklika zur Lösung der Arbeiterfrage, sondern er zeichnet mit gewichtigen Akzentsetzungen die Stationen der Sozialverkündigung der Kirche in den letzten 100 Jahren nach. Das Jahr 1989 markiert durch den Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ einen besonderen Wendepunkt, den Papst Johannes Paul II. freilich nicht als Triumph einer kapitalistischen Wirtschaftsweise sieht, sondern als fundamentale Herausforderung zu einer Neuorientierung, die sich nicht nur an ökonomischen Gesichtspunkten allein, sondern an der Würde des Menschen und den grundlegenden Werten ausrichten muß. Im Mittelpunkt der Enzyklika stehen darum drei Problemkreise: die Entwicklung der Staaten Mittel- und Osteuropas nach dem Ende der totalitären Diktaturen, die Problematik der Dritten Welt und die Grundlinien einer Staats- und  Wirtschaftsordnung in den Industriestaaten des Westens, die Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde umfaßt. Die Enzyklika ist ein umfassender Versuch einer Ortsbestimmung der heutigen Weltgesellschaft vor dem Hintergrund einer 100-jährigen, sehr flexibel auf die jeweiligen Nöte eingehenden Sozialverkündigung der Kirche. Der Papst zeigt eine hohe Sensibilität für gegenwärtige Probleme, wie z.B. das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, und gibt kräftige Anstöße zur Verbesserung der internationalen Ordnung des Zusammenlebens der Völker, aber auch für die einzelnen Länder.

Innerhalb der Entwicklung der Soziallehre gibt es viele Themen, die zum ersten Mal ausführlicher behandelt werden, wie z.B. eine Ethik der Gewinne und der Investition. Manches wird über das bisher Gesagte hinaus vertieft, wie z.B. die Bedeutung des Unternehmers. Der Begriff des Kapitalismus, in der Diskussion um die bisherigen Sozialenzykliken umstritten, wird einer Klärung entgegengeführt. Schließlich wird zum ersten Mal neben dem Kommunismus und Kapitalismus so etwas wie das Leitbild einer freiheitlichen, sozialen Marktwirtschaft entworfen, wenn auch der Papst den Begriff „soziale Marktwirtschaft“ selbst nicht verwendet. Damit wird erstmals ausdrücklich ein vom „Kapitalismus“ fundamental unterschiedenes Wirtschaftsordnungskonzept positiv gewürdigt. Wie sehr der Papst die gegenwärtigen Fragestellungen kennt, zeigt sich darin, daß er neben den klassischen Zielen einer sozialen Marktwirtschaft als zusätzliche Aufgaben die ökologische Verträglichkeit aller wirtschaftlichen Handlungen und die weltwirtschaftliche Zumutbarkeit des Güteraustausches für alle Völker fordert. Leidenschaftlich zeigt Papst Johannes Paul II. aber auch auf, wie es nicht zuletzt in den westlichen Industrienationen neue Phänomene einer Entfremdung des Menschen gibt, die in einem ungezügelten Konsum-Streben grundgelegt sind. Hier fordert der Papst ein verantwortliches Verbraucherverhalten, die Weckung eines hohen Verantwortungsbewußtseins bei den Produzenten und vor allem bei den Trägern der Kommunikationsmittel sowie das notwendige Eingreifen der staatlichen Behörden. Die Enzyklika bekennt sich eindeutig zum „System der Demokratie“, die sich freilich an der Würde und den unveräußerlichten Rechten des Menschen orientieren muss. Eine Demokratie ohne Werte und  ohne eine letzte transzendente Begründung steht jedoch immer vor der Gefahr eines offenen oder hinterhältigen Totalitarismus.

Durch die Verbindung der klassischen Aussagen der Soziallehre der Kirche mit neueren Erkenntnissen vor allem einer philosophischen und theologischen Anthropologie entsteht eine Ausweitung und Vertiefung dieser Soziallehre. Die deutschen Bischöfe danken Papst Johannes Paul II. für die neue Sozialenzyklika, die zugleich eine ausgereifte, hochaktuelle, ja epochale Bedeutung hat und einen Meilenstein in der Sozialverkündigung der Kirche darstellt. Die Enzyklika Centesimus annus braucht den Vergleich mit Rerum novarum nicht zu scheuen und ist ein kostbarer Beitrag des gegenwärtigen Papstes zum „Jahr der kirchlichen Soziallehre“. Sie verdient größte Bedeutung innerhalb und außerhalb der Kirche.


Bonn, 02.05.1991
Pressestelle der Deutschen Bischofskonferenz
Dr. Rudolf Hammerschmidt
Tel.: (0228) 103-213

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