| Pressemeldung

Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, aus Anlaß des 60. Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. November 1938

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, wurden jüdische Friedhöfe geschändet, Geschäfte und Wohnungen von Juden demoliert und ausgeplündert. An die hundert jüdische Mitbürger wurden erschossen, zu Tode geprügelt oder niedergestochen. Zehntausende wurden damals in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen deportiert, in denen sie seelisch und körperlich schwer gezeichnet und gequält wurden. Diese Entrechtung und Demütigung, die von den Nationalsozialisten inszeniert und vor allem von SA und SS ausgeführt, aber als „spontane“ Vergeltungsaktion des Volkes dargestellt wurde, gipfelte darin, daß den Geschädigten eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark auferlegt wurde. Es folgten Enteignungen und eine Unzahl von diskriminierenden Maßnahmen. Hinter dem Geschehen stehen unfaßbare Schmerzen, Leiden und Tränen der jüdischen Bevölkerung.

Es kam kaum irgendwo zu Protestkundgebungen. Auch die Bischöfe, die doch durch ihre entschiedene Ablehnung der Rassenideologie an den weltanschaulichen Grundlagen des NS-Staates rüttelten, ließen keinen Kanzelprotest verlesen. Vor zehn Jahren schrieben dazu die deutschen und österreichischen Bischöfe: „Aber genügten Gewissensbildung und weltanschauliche Immunisierung angesichts brennender Synagogen und tausender mißhandelter jüdischer Mitbürger? ... Wäre nicht öffentlicher Protest, eine weit sichtbare Geste der Mitmenschlichkeit und Anteilnahme der vom Wächteramt der Kirche geschuldete Dienst gewesen? Diese Fragen bedrücken uns umso mehr, als wir sie – im Unterschied zu den Zeitgenossen – im Wissen um ,Auschwitz' stellen.“

Immer wieder fordert uns die Geschichte zur Erinnerung heraus. Solches Erinnern ist und bleibt schmerzlich, doch es gehört zum Menschen, daß er sich erinnert. Wer einfach vergessen möchte, löscht nochmals die Geschichte eines Volkes und seiner einzelnen Menschen aus.

Die Erinnerung läßt uns nicht nur nach den Fehlern und Versäumnissen unserer Vorfahren fragen, sondern konfrontiert uns auch immer mit uns selbst. Sie ruft uns auf, den Abgründen menschlicher Verirrung und des Hasses bereits in den Anfängen mit großer Wachsamkeit zu wehren. Gewalt bahnt sich dort bereits an, wo wir Fremden feindselig begegnen, Andersdenkende ablehnen., Überlebensängste schüren und nicht bereit sind, wirklich bedrohte Menschen aus anderen Ländern bei uns aufzunehmen.

„Versöhnung geschieht durch Erinnerung“, sagte der große jüdische Philosoph Martin Buber. In diesem Sinne dürfen Gedenktage kein punktuelles Ereignis bleiben, sondern sind einzubetten in ein ständiges Bemühen, unter Besinnung auf die Vergangenheit zu einer positiven Änderung von Einstellungen und Verhalten beizutragen.

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