| Pressemeldung | Nr. PRDT99-021

Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz zum Kosovo

Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat bei seiner Sitzung am 19. April 1999 in Würzburg die folgende Stellungnahme zum Kosovo-Konflikt beschlossen:
Seit Monaten sind wir Zeugen, wie im Kosovo elementare Menschenrechte brutal verletzt werden. Ein Staat beraubt einen Teil seiner Bürger ihrer Rechte, ihrer Existenzgrundlagen, ihrer Würde, ja ihres Lebens. Ermordungen, Vergewaltigungen und hunderttausendfache Vertreibungen mitten in Europa sind eine humanitäre Katastrophe. Solche Handlungen, die einem Völkermord gleichkommen, "sind furchtbare Verbrechen, die aufs schärfste zu verurteilen sind" (Gaudium et spes, 79).

Nachdem alle Versuche einer politischen Lösung, insbesondere die Verhandlungen von Rambouillet, gescheitert sind, haben sich die NATO-Staaten entschlossen, diese Verletzung der Menschenrechte mit militärischen Mitteln zu unterbinden. Eine solche Anwendung militärischer Mittel bedeutet - daran hat Papst Johannes Paul II. immer wieder erinnert -, auch wenn sie angesichts des Scheiterns politischer Bemühungen für unvermeidlich gehalten wird, stets eine Niederlage der Menschlichkeit. Sie stellt uns als Christen, die sich der Friedensbotschaft Jesu und dem Evangelium der Versöhnung verpflichtet wissen, vor eine schwere Gewissensfrage.

Wir wissen freilich auch, daß die Solidarität gebietet, solchem himmelschreienden Unrecht nicht tatenlos zuzusehen, sondern ihm, wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, auch militärisch entgegenzutreten und Menschen, welche ungerechter Gewalt wehrlos ausgeliefert sind, zu Hilfe zu kommen. Dabei ist uns bewußt, daß militärische Mittel allein niemals zu einem gerechten Frieden führen können; sie sind in der Gefahr, in eine Spirale der Gewalt zu führen. Deshalb dürfen sie nur unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit und mit dem Ziel angewandt werden, Voraussetzungen für politische Friedensbemühungen zu schaffen (vgl. Gaudium et spes, 79). Der Friede selbst ist ein "Werk der Gerechtigkeit" (Jes 32,17).

Deshalb begrüßen wir alle Versuche, mit Entschiedenheit politische Lösungen zu suchen. Wir begrüßen die entsprechenden Bemühungen des UN-Generalsekretärs und anderer politischer Verantwortungsträger, aber auch des Papstes, und hoffen, daß es gelingt, unter Einbeziehung der UNO und Rußlands einen Weg für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen zu finden.

Der Versuch, diesen wie viele andere Konflikte durch humanitär motivierte militärische Interventionen einer Lösung näherzubringen, ist Sache der Völkergemeinschaft. Unter diesem Gesichtspunkt ist uns die völkerrechtliche Problematik des Entschlusses der NATO-Staaten bewußt. Ein militärisches Eingreifen ohne hinreichendes Mandat der Vereinten Nationen - auch wenn es auf den Schutz der Menschenrechte gerichtet ist und humanitären Motiven entspringt -, läuft Gefahr, das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot zu unterminieren. Deshalb begrüßen wir jeden politischen Schritt mit dem Ziel, das Vorgehen der NATO in die Verantwortung der Völkergemeinschaft zurückzuführen. Die Vereinten Nationen müssen jetzt und für künftige Fälle in die Lage versetzt werden, ihrer weltweiten friedenspolitischen Verantwortung gerecht zu werden.

Immer dringlicher stellt sich die Frage, ob die von den NATO-Staaten angewandten militärischen Mittel wirklich geeignet sind, Voraussetzungen für eine politische Lösung zu schaffen, in der die Gebote der Menschlichkeit durchgesetzt werden können. Wir stehen an einer entscheidenden Schwelle: Gelingt es nicht, die Kette militärischer Handlungszusammenhänge zu durchbrechen und wieder Chancen und Räume für eine politische Konfliktbearbeitung zu eröffnen, so droht eine weitere, schwer kontrollierbare Eskalation der Gewalt. Wir fordern die Belgrader Regierung auf, sich endlich ihrer Verantwortung für den Weltfrieden bewußt zu werden.

An die Regierungen der NATO-Mitgliedsstaaten appellieren wir, militärische Mittel nur so einzusetzen, daß sie dazu beitragen, das Leid der Menschen wirksam zu verringern. Trotz aller Anstrengungen konnte die Bevölkerung des Kosovo bislang nicht wirksam geschützt werden. Der Preis für die humanitär begründete militärische Nothilfe droht höher und höher zu werden. Auch auf serbischer Seite leiden wehrlose Menschen, denen die Verbrechen ihrer Führung nicht zugerechnet werden dürfen, deren Folgen aber immer härter auf sie zurückschlagen. Innerhalb einer bewaffneten Auseinandersetzung gilt das dringende Gebot der Gewaltminimierung; Opfer und Schäden müssen so gering wie eben möglich gehalten werden. Insbesondere darf die Zivilbevölkerung niemals unmittelbares Ziel militärischer Gewalt sein.

In hohem Maße kommen die NATO-Staaten ihrer Verpflichtung auch zu nichtmilitärischer humanitärer Hilfeleistung nach. Sie ermöglichen zugleich die dringend gebotenen humanitären Bemühungen der Caritas und der vielen anderen Hilfsorganisationen. Dieses Engagement verdient Anerkennung und Ermutigung, auch wenn es Terror und Vertreibung nicht verhindern, sondern lediglich die furchtbaren Folgen lindern helfen kann. Im Interesse der leidenden Menschen darf in diesem Einsatz nicht nachgelassen werden, vielmehr sind solche Bemühungen weiterhin zu verstärken. In den europäischen Staaten stehen die Menschen vor einer großen Herausforderung zu praktischer Solidarität, vor allem im Hinblick auf eine gerechte Aufteilung der Verpflichtungen, die sich aus dem Leid der Vertriebenen und Entwurzelten für die Aufnahmeländer ergeben. Wir danken in diesem Zusammenhang für die große Hilfsbereitschaft weiter Teile der Bevölkerung in unserem Land.

Während wir darauf hoffen und inständig darum beten, daß so rasch wie möglich eine Beendigung der Kampfhandlungen herbeigeführt werden kann, richten wir unseren Blick auf die Aufgaben für die Zeit nach einem Waffenstillstand. Diese Aufgaben erschöpfen sich nicht in unserer Bereitschaft, nach Kräften großzügig den Opfern der Gewalt auf allen Seiten Hilfe zu leisten. Es gilt, am Aufbau von politischen und rechtlichen Strukturen eines gerechten, dauerhaften Friedens in der Region mitzuwirken. Hierzu gehört unverzichtbar ein wirksamer Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte.

Der Kosovo-Konflikt hat tiefreichende Wurzeln in der Geschichte der Völker auf dem Balkan. Insbesondere Kirchen und Religionsgemeinschaften sind aufgefordert, wirksam dazu beizutragen, daß jene historischen Belastungen aufgearbeitet werden, ohne die die jüngste Gewalteskalation nicht zureichend erklärt werden kann. Durch einen konfessionsübergreifenden und interreligiösen Dialog müssen wir der Gefahr entgegenwirken, daß Religion zur Rechtfertigung einer gewaltsamen Austragung von Konflikten mißbraucht werden kann. Kirchen und Religionsgemeinschaften müssen alle Anstrengungen unternehmen, um sich auf eine Interpretation ihrer religiösen Traditionen zu verständigen, die Aufrufen zu Feindschaft und Haß ihre vordergründige Legitimation entzieht. Insbesondere sehen wir Christen uns verpflichtet, uns um ein Verhältnis zu den Muslimen zu bemühen, das auf gegenseitiger Achtung beruht. Darüber hinaus besteht wie in Bosnien die Verpflichtung, jede Chance für eine Friedens- und Versöhnungsarbeit in kirchlicher Trägerschaft zu nutzen. Wir ermutigen alle, die auf diesem Feld tätig sind, in ihrem entschlossenen Engagement nicht nachzulassen, und wollen dieses tatkräftig unterstützen, wo immer sich dazu konkrete Möglichkeiten eröffnen.

Den Soldaten der Bundeswehr, die ihren Dienst zur Sicherung des Friedens in Bosnien-Herzegowina und zur Ermöglichung einer gerechten politischen Lösung des Kosovo-Konflikts leisten, gilt unsere Solidarität. Ihr Auftrag ist es, wie es das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, als "Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker" (Gaudium et spes Nr. 79) wahrhaft zur Festigung des Friedens beizutragen. Sie werden der Forderung des Konzils gerecht, wo immer sie "tätige Solidarität mit der Völkergemeinschaft in der Verteidigung einer gerechten internationalen Ordnung" (Wort der deutschen Bischöfe zum Golfkrieg vom 21. Februar 1991) üben. Wir danken unseren Militärgeistlichen, die heute auch im Einsatzgebiet der Bundeswehr ihren seelsorglichen Dienst leisten, und bitten zugleich die Seelsorger in unseren Pfarreien, gemeinsam mit der Militärseelsorge den Familien der eingesetzten Soldaten beizustehen.

Alle Menschen, die an Gott glauben, besonders die Christen aller Konfessionen laden wir dazu ein, mit uns für den Frieden zu beten. Wo wir uns darum bemühen, unseren Glauben an den Erlöser in Wahrheit zu leben, wird uns dies vereinen in unseren Anstrengungen, zu einer Beendigung der Gewaltanwendung und zum Aufbau einer gerechten Friedensordnung beizutragen.

Hinweis:
Mitglieder des Ständigen Rates sind die 27 Diözesanbischöfe

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