| Pressemeldung | Nr. 035

Dialog zwischen Kirchenführern und Wissenschaftlern in Rom

„Mit einem Exodus der Christen aus dem Mittleren Osten dürfen wir uns nicht abfinden“

Bei der internationalen Fachkonferenz „Christen, christliche Kirchen und Religion in einem sich wandelnden Mittleren Osten“, die heute (26. Februar 2016) in Rom zu Ende gegangen ist, haben zahlreiche Kirchenführer und Wissenschaftler sich intensiv über die Lage in dieser Region ausgetauscht. Die dreitägige Veranstaltung wurde im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz von ihrer Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben durchgeführt. Die Projektleitung lag bei Prof. Stephan Stetter (Universität der Bundeswehr in München). Die Teilnehmer kamen aus mehreren europäischen Ländern, aus Nordamerika und den Staaten des Mittleren Ostens. „Wir wollten Bischöfen und Kirchenverantwortlichen die Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen und Kenntnisse mit wissenschaftlichen Analysen und Bewertungen in Beziehung zu setzen“, sagte Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg), Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. „So konnten neue Einsichten über Hintergründe und Ursachen der heutigen Situation, über Gefahren und Zukunftsperspektiven gewonnen werden.“

In dramatischen Worten beschrieben die Bischöfe aus den arabischen Ländern das alltägliche Leiden in den Konfliktregionen und den Niedergang der christlichen Kirchen, die durch Vertreibung und Abwanderung ausgezehrt werden. Prof. Heiner Bielefeldt, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sprach von einer „genozidalen Dimension“ der Verfolgung religiöser Minderheiten, die sich im Herrschaftsgebiet des sogenannten Islamischen Staates (IS) gegen Christen, Jesiden, Schiiten und muslimische Abweichler richte. Bei der Konferenz wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Christen von Konflikten betroffen sind, die nicht von ihnen ausgehen. Dazu gehören die Konfrontationen zwischen Sunniten und Schiiten, Identitätskonflikte innerhalb des Islam und eine damit einhergehende Radikalisierung sowie seit Langem ungelöste politische Auseinandersetzungen, etwa zwischen Israelis und Palästinensern.

„Die massenhafte Abwanderung der Christen nach Europa und Nordamerika ist eine akute Gefährdung für den Fortbestand des orientalischen Christentums“, so Erzbischof Schick. „Mit einem Exodus der Christen aus dem Mittleren Osten dürfen wir uns nicht abfinden. Auf allen Ebenen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln müssen wir darauf hinarbeiten, dass Christen in ihren angestammten Ländern Lebensbedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben zu bleiben.“

Übereinstimmend betonten die Bischöfe die „gleichberechtigte Staatsbürgerschaft“ aller – unabhängig vom religiösen Bekenntnis – als Leitperspektive für die Erneuerung der arabischen Staaten. Einem solchen Konzept steht jedoch entgegen, dass das moderne Menschenrechtsdenken und damit auch die Religionsfreiheit in großen Teilen der muslimischen Welt nach wie vor nicht akzeptiert werden. Das Anliegen der „gleichberechtigten Staatsbürgerschaft“ müsse – so Bischöfe und Experten – in die politische Öffentlichkeit der Länder, aber auch in den interreligiösen Dialog eingebracht werden. Erzbischof Schick unterstrich, dass dieser Dialog in Wahrheit, Liebe und Respekt geführt werden müsse: „Eine neue Ernsthaftigkeit und eine konkrete Ausrichtung der Gespräche sind zwingend geboten.“

Die Teilnehmer diskutierten auch selbstkritisch das Handeln der Kirchen. Christen und Kirchen seien immer noch zu stark von einem Unterlegenheitsgefühl bestimmt, das sich in Jahrhunderten muslimischer Dominanz verfestigt habe. Auch sprächen die Kirchen – trotz ökumenischer Fortschritte in einzelnen Fragen – zu selten mit einer Stimme.

Die Bischöfe appellierten an die Staatengemeinschaft, den Schutz der Christen und anderer bedrohter Gruppen zu einer Priorität der internationalen Politik zu machen. Dabei komme, so Erzbischof Schick, der Beendigung von Kriegen und Bürgerkriegen eine wesentliche Rolle zu. „Nur mit einer echten Friedenspolitik, bei der die Interessen der auswärtigen Mächte zurücktreten müssen, kann für die Verfolgten und Bedrängten etwas erreicht werden.“

Obwohl die Region des Mittleren Ostens durch gemeinsame Trends charakterisiert ist, zeigen sich in den einzelnen Ländern doch markante Unterschiede. In Gebieten, die von Krieg und Bürgerkrieg gezeichnet sind (Irak und Syrien), ist eine dramatische Abwanderung von Christen zu beobachten. Der Präfekt der Päpstlichen Kongregation für die orientalischen Kirchen, Kardinal Leonardo Sandri, sprach mit Blick auf diese Länder von einer „Ökumene des Blutes“. Die Lage der Kirchen im Libanon ist stabil, aber angespannt, wie der Patriarch der Maronitischen Kirche, Béchara Pierre Kardinal Raï, in seinem Referat darstellte. In Ägypten haben die Christen nach der Herrschaft des islamistischen Präsidenten Mursi wieder etwas mehr Luft zum Atmen gewonnen. Einen Sonderfall stellen die Golfstaaten dar, wo die Zahl der katholischen Gastarbeiter inzwischen die Millionengrenze überschritten haben dürfte.


Hintergrund

Die Deutsche Bischofskonferenz pflegt regelmäßige Kontakte zu den Kirchen im Mittleren Osten und leistet materielle Hilfe. Sie informiert über die Lage der unter Druck und Verfolgung geratenen Christen, unter anderem durch regelmäßig veröffentlichte Arbeitshilfen und den „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“, der in den kommenden Monaten zum zweiten Mal erscheinen wird. In Gesprächen mit deutschen und europäischen Politikern wird für die Nöte der Christen in der arabischen und muslimischen Welt sensibilisiert. Am Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen (26. Dezember) bitten die deutschen Bischöfe die Gläubigen jedes Jahr um ihr Gebet.


Hinweis:

Die Begrüßung von Erzbischof Dr. Ludwig Schick bei der Tagung „Christen, christliche Kirchen und Religion in einem sich wandelnden Mittleren Osten“ in Rom finden Sie untenstehend als pdf-Datei.

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