| Pressemeldung | Nr. 024b

„Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen“ (Hebr 13,3) – Der Auftrag der Kirche im Gefängnis

Pressegespräch zur Vorstellung des Wortes der deutschen Bischöfe zum Auftrag der Kirche im Gefängnis in Berlin am 8. März 2006 – Statement des Vorsitzenden der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Joachim Wanke

Es gilt das gesprochene Wort!

Psalm 18, Vers 30 ist eine Textstelle, die in der Gefängnisseelsorge gerne und oft benutzt wird: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“.Dass Gefangene das Bedürfnis haben, diesen Psalmvers wörtlich zu nehmen, kann Ihnen jeder Gefängnisseelsorger bestätigen. Zwei Illustrationen dieses Verses, eine aus einem Berliner Gefängnis, die andere entstanden 2003 im Jahr mit der Bibel im Bistum Osnabrück in der Justizvollzugsanstalt Osnabrück habe ich Ihnen mitgebracht. Auch wenn das mit der Wörtlichkeit natürlich nicht geht, bin ich doch überzeugt, dass in dieser kleinen Textstelle vieles von dem deutlich wird, was Gefängnisseelsorge leisten kann: Die Mauern eines Gefängnisses schützen die Gesellschaft vor einem straffällig gewordenen Menschen. Ob sie so hoch und undurchlässig sein müssen sei dahingestellt: Für den Gefangenen jedenfalls bedeuten die Mauern eine Unterbrechung der Beziehung zur Familie und zu den Freunden, einen schwerwiegenden Einschnitt in die persönliche Freiheit, einen Ausschluss vom Leben „draußen“, das als das wirkliche gilt.

Aber die Mauern eines Gefängnisses hindern ja nicht nur Gefangene am Fliehen, sie schützen sie auch vor der Umwelt, vor dem Gesehenwerden von außen. Manchmal ziehen sich Gefangene hinter den Mauern in sich selbst zurück, weil sie nicht gesehen werden wollen und sich selbst nicht anschauen können mit ihrer Schuld und Unzulänglichkeit.

Ein Gefängnisseelsorger berichtete mir kürzlich von einer Reihe von Gesprächen mit einer Inhaftierten: „Sie war zunächst buchstäblich sprachlos über das was sie getan hatte. Sie hatte mehrere Banken mit Waffengewalt überfallen und weigerte sich seither, in den Spiegel zu schauen. Immer wieder erzählte sie dem Seelsorger ihre Lebensgeschichten, fast so, als könne sie sie selbst nicht verstehen. Doch mehr und mehr begriff sie etwas von dem, was sie wahrhaftig ausmachte. Mehr und mehr gab es für sie die Möglichkeit, Züge ihrer Lebens- und Leidensgeschichte anzunehmen. Ein Ergebnis aus diesen Seelsorgegesprächen lässt sich nun nicht einfach formulieren im Sinne, dieser Mensch hätte nun seinen Weg gefunden. Aber bei der Entlassung sagte die Frau zum Seelsorger: ,Ich möchte Ihnen danken dafür, dass Sie mir zugehört haben. In den Gesprächen mit Ihnen habe ich mich wohl gefühlt, und so komisch es klingen mag, ich habe in Ihrem Zimmer, mitten im Knast, ein wenig von wirklicher Freiheit gespürt.' Möglicherweise hat sie damit gemeint, dass sie einfach sie selbst sein durfte.“

Seelsorge hilft, die Angst vor dem Sich-Zeigen, vor dem Gesehenwerden mit seiner Schuld und seiner Unzulänglichkeit zu reduzieren. Die Seelsorge eröffnet den Menschen im Gefängnis Räume, in denen sie Gott, ihrem Schöpfer und Erlöser gegenüber treten können. In dieser Beziehung, in der Erfahrung des bleibenden Gewollt- und Geliebtseins wird es ihnen möglich, die Angst zu überwinden, dass sie mit ihrer Schuld jegliche Daseinsberechtigung verloren haben. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Schuld überhaupt anerkennen können. (vgl. S. 42 des vorliegenden Textes)

Diese seelsorglichen Gespräche mit den Inhaftierten sind sicherlich die hauptsächliche Tätigkeit der Gefängnisseelsorger.

Im Rahmen der üblichen Regeln des Justizvollzugs haben sie Zutritt zur Anstalt, sie haben dort einen eigenen Raum und können die Gefangenen besuchen. Dass sie dabei ab und an auch Kleinigkeiten wie Tabak oder Kaffee mitbringen können – eine kleine Konkretion diakonischen Handelns – trägt auch zur raschen Kontaktaufnahme bei. Besonders wichtig ist das Bemühen der Gefängnisseelsorger, mit neu Inhaftierten möglichst zügig in Kontakt zu kommen, denn die ersten Tage der Haftzeit sind vor allem für diejenigen, die zum ersten Mal inhaftiert worden sind, besonders belastend. Gefängnisseelsorger wirken unterstützend für das Halten der Kontakte zu den Angehörigen; sie können im Bedarfsfall auch Treffen oder Sondersprechstunden arrangieren oder Unterstützungsstrukturen vor Ort für die Angehörigen mobilisieren. In den Justizvollzugsanstalten machen die Seelsorger regelmäßige Angebote an Gesprächsgruppen, sie halten Wortgottesdienste und Eucharistiefeiern, oft abwechselnd mit den evangelischen Gefängnisseelsorgern. Die geprägten Zeiten Advent und Fastenzeit werden oftmals besonders intensiv gestaltet, beispielsweise durch Fasten- und Stundengebet in der Karwoche. Auch andere Veranstaltungsformen werden von ihnen vorbereitet und durchgeführt, etwa Lesungen, kulturelle Veranstaltungen oder ähnliches. Dies erfolgt in enger Rückkopplung mit der Anstaltsleitung, zu der es regelmäßige und intensive Kontakte gibt. Oft sind Gefängnisseelsorger auch in Fortbildungsveranstaltungen für Bedienstete involviert; dort wie auch im Gefängnisalltag ergeben sich vielfältige Gesprächs- und Kontaktsituationen auch zwischen Bediensteten und Seelsorgern. Die Anwesenheit des Seelsorgers liegt dabei durchaus auch im gemeinsamen Interesse der Kirche und der Justizvollzugsanstalt: Das Gespräch mit dem Seelsorger hilft den Inhaftierten, die Haftzeit besser zu überstehen und es hilft den Bediensten, besser mit den Gefangenen umzugehen. Eine Sorge sei in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen: Die Sorge, dass die Akzeptanz des Gedankens der Wiedereingliederung des Strafgefangenen, die dem Strafvollzugsgesetz zu Grunde liegt, in der Gesellschaft abnimmt. Die Hoffnung auf Resozialisierung des Straftäters hängt eng mit der Respektierung der Menschenwürde auch derjenigen zusammen, die aufgrund von Straftaten rechtmäßig verurteilt worden sind. Die Gefängnisseelsorge weiß sich diesem Anliegen, den Strafgefangenen Hoffnung auf einen Neuanfang zu vermitteln, auch weiterhin verpflichtet.

„Denkt an die Gefangenen als wäret ihr mitgefangen.“ Ich wünsche mir, dass wir mit diesem Wort der deutschen Bischöfe zum Auftrag der Kirche im Gefängnis alle Katholiken, die im Gefängnis arbeiten oder sich im Strafvollzug engagieren, besonders aber die hauptberuflich beauftragten Seelsorger ermutigen können, ihren Dienst immer wieder neu am Evangelium auszurichten.

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