| Pressemeldung | Nr. PRD-009

Das bundesweite Projekt der Frauenseelsorge "Wer wird den Stein wegrollen?" im Andachtsraum des Reichstags

Statement von Dr. Ingeborg Tiemann, Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren von den Medien,
dieser Stein, den wir soeben mit mehreren Frauen in den Andachtsraum des Reichstags gerollt haben, steht im Mittelpunkt eines Projekts, an dem sich seit Ostern letzten Jahres an vielen Orten Deutschlands Tausende von Frauen beteiligten. Bis Ostern diesen Jahres wandert dieser 800 kg schwere Stein durch die Bundesrepublik. Insgesamt wird er ca. 6.200 km unterwegs sein. Einen Großteil seines Weges hat er bereits hinter sich, wenn er heute im Reichstag angekommen ist.
Zur Idee des Projekts:
800 kg wiegt dieser Stein, ein in der Tat gewichtiger Stein. - Konnten wir es uns nicht leichter machen? Wozu diese Mühe? Nein, wir können es uns nicht leichter machen. Denn bei der Frage "Wer wird den Stein wegrollen?", die von Frauen gestellt wird geht es um eine Frage von Gewicht. Frauen - sehr viele Frauen - kennen die Erfahrung: Es gibt unüberwindbar scheinende "Steine" - im persönlichen Leben, in der Gesellschaft, in der Politik, in der Kirche, zwischen Kulturen und Religionen. Frauen erleben "Steine" auf ihrem Weg, die von der Energie des Lebens abschneiden, die von der Kraft zur Hoffnung trennen.
Die Frage "Wer wird den Stein wegrollen?" trägt die ganze Last von dem, was unüberwindbar zu sein scheint. Gleichzeitig jedoch liegt im Stellen dieser Frage der Beginn einer Veränderung, das Vertrauen darin, dass es Verbündete geben wird. Dafür kann der Stein Katalysator sein.
Zum Stein:
Der Stein stammt aus dem Heiligen Land, aus einem Steinbetrieb nahe Bethlehem. In der Dombauhütte Köln wurde er bearbeitet und mit dem Schriftzug versehen. Der Stein ist den Rollsteinen nachempfunden, die zur Zeit Jesu zum Verschluss von Gräbern benutzt wurden. Solch ein Stein spielt eine zentrale Rolle in der Ostergeschichte, wie sie der Evangelist Markus erzählt. Er berichtet, dass drei Frauen aus dem Volk am frühen Ostermorgen auf dem Weg zum Grab Jesu die Frage stellten "Wer wird den Stein wegrollen?". Sie erwarteten, dass ein Stein ihnen den Zugang zum Grab versperren würde. Bis hierhin ist dies eine Geschichte von Angst, von Blockade, von Steckenbleiben in der Verzweiflung, im Unbeweglichen. Doch dann - als die Frauen dennoch weitergehen und sich nicht schrecken lassen von scheinbarer Perspektivlosigkeit, machen sie die Erfahrung: Es gibt Befreiung. Diese Geschichte lohnt die Erinnerung. Ihre Erinnerung kann eine Ressource sein für Frauen heute - sie kann vielleicht eine Kraft mobilisieren wider die spirituelle Verarmung, wider die Verarmung an Hoffnungen, an Utopien.
Zu den bisherigen Erfahrungen des Projekts
Tausende von Frauen sind bis heute dem Stein begegnet, bisher an fast 30 Orten überall in Deutschland, auf dem Land und in Städten, auf Plätzen und in Messehallen, auf der Expo, in Kathedralen und Klöstern. Um nur einige Zahlen zu nennen: Zu Veranstaltungen auf der Landesgartenschau in Singen kamen ca. 4.000 Frauen, zu einem ökumenischen Tag im Kloster Frenswegen an der niederländischen Grenze 1.500 Frauen. Überall, wo der Stein war, fanden Veranstaltungen statt, die von der örtlichen Frauenseelsorge in vielfältiger Kooperation: mit Frauenverbänden, ökumenisch, in Zusammenarbeit mit Gleichstellungsstellen und anderen Einrichtungen nach je selbst gewählten Schwerpunkten ausgerichtet wurden. Die Themen umfassen das gesamte Spektrum des Lebens von Frauen: von persönlichen Lebens- und Beziehungsgeschichten bis hin zur Sorge um die Bedrohung der Umwelt, Bündnisse wider den Frauenhandel wurden gesucht, Frauenarmut wurde und wird zum Thema gemacht, an anderem Ort wurde der "steinerne Weg von Frauen zur Macht" diskutiert, unter dem Stichwort "Global Sisterhood" wurden Schritte zur Solidarisierung unter Frauen zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen getan. Überall regte der Stein dazu an innezuhalten, an vielen Orten mündete die Auseinandersetzung mit dem Stein darin, dass Frauen sich in ihrem Engagement verbündeten.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das Berliner Programm der Veranstaltungen rund um den Stein, das nach der Zeit im Reichstag am 3. März in der Katholischen Akademie beginnen wird und im Anschluss eine weitere Station in der Sophienkirche in Berlin-Mitte hat. In Berlin wird es eine Mahn- und Gebetswache vor dem Abschiebegefängnis, eine Veranstaltung wider die Genitalverstümmlung an Mädchen und Frauen, ein Frauenpolitisches Forum zur Frauenarmut geben, um nur Einiges zu nennen.
Zu unserem Partnerinnenprojekt
Mit den Veranstaltungen zum Stein unterstützen wir das Projekt aus dem Heiligen Land "Women Advocating for Peace". "Women Advocating for Peace" fördert die Verständigung zwischen Palästinenserinnen und Israelinnen, zwischen christlichen, jüdischen und moslemischen Frauen. In langfristig angelegten workshops arbeiten die Frauen miteinander an Wegen der Verständigung untereinander - eine Arbeit an Steinen, deren Schwere kaum zu überbieten ist, wie die Politik der letzten Wochen zeigt. Wir bitten um Spenden für dieses Projekt und bauen selbst eine langfristige Partnerschaft mit den Frauen von "Women Advocating for Peace" auf.
Zum Stein im Reichstag
Viele, ja vielleicht die meisten der "Steine", die Frauen an diesem Stein zum Thema gemacht haben, haben einen erkennbaren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir erwarten nicht, dass diese oft harten Brocken schnell weggeräumt werden. Auch haben wir hierfür kein Programm. Der Stein ist eine Herausforderung, sich in der Spannung von Kontemplation und Aktion der Hoffnung zu vergewissern, dass Erstarrtes wieder in Bewegung geraten kann.
30 weibliche Abgeordnete des Deutschen Bundestags haben sich bisher mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ihre Texte zu der von uns angestoßenen Frage: "Wie ein Stein in Bewegung kommt" finden Sie während des Aufenthalts des Steins - also vom 31.Januar bis zum 2. März 2001 - im Internet unter: www.der-stein.de.
Während des Aufenthalts des Steins im Reichstag werden wir zum Thema des Steins zu einem Gottesdienst für Abgeordnete und Angestellte des Deutschen Bundestags einladen.
Frau Dr. Vollmer, Ihnen danke ich an dieser Stelle sehr herzlich dafür, dass Sie das Projekt in das Präsidium des Deutschen Bundestages eingebracht haben und durch beharrliches Nachfragen dafür gesorgt haben, dass der Stein nun hier im Andachtsraum stehen kann.

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