| Pressemeldung

Christliches Ethos im Umgang mit Tod und Trauer

Vortrag von Bischof Dr. Joachim Wanke bei der Fachtagung "Bestattungskultur - Zukunft gestalten" am 16. Oktober 2003 in Erfurt

Es gilt das gesprochene Wort!
Herrn Professor Dr. Konrad Baumgartner, Pastoraltheologe an der Universität Regensburg, und Herrn Wolfgang H. Zocher, dem Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e. V. ist die Initiative zu dieser Fachtagung zu verdanken. Dass diese Tagung in Erfurt zum Thema Bestattungskultur zustande kommen konnte, geht darüber hinaus auf die tatkräftige Mitwirkung von Herrn Dr. Rolf Lichtner, dem Generalsekretär und Frau Dr. Kerstin Gernig, der Geschäftsführerin in diesem Bundesverband und Herrn Franz Herzog, dem Fachreferenten beim Bereich Pastoral im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz zurück.

Als derzeitiger Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz bin ich gebeten worden, diese Fachtagung mit einigen Stichworten zur Sache einzuleiten. Gern komme ich dieser Bitte nach in der Hoffnung, bei so viel Ansammlung von Fachkompetenz im Blick auf unser Thema nicht zu viele offene Türen einzurennen!

Lassen Sie mich aber zuvor kurz daran erinnern, dass unsere heutige Fachtagung im gewissen Sinn die Fortsetzung eines Dialoges zwischen dem Verband Deutscher Bestatter und den Kirchen ist. Am 18. September 1992 fand in Braunschweig ein Forum zum Thema "Bestattung und Kirche" statt veranstaltet vom Bundesverband des Deutschen Bestattungsgewerbes unter der Schirmherrschaft der beiden Kirchen, vertreten durch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den damaligen Bischof und heutigen Kardinal Dr. Karl Lehmann, Mainz und Bischof Dr. Gerhard Müller, Wolfenbüttel. Bleibende Bedeutung im Sinn einer Bestandsaufnahme und Wegweisung in diesem Themenfeld der Pastoral hat weiterhin das Wort der Deutschen Bischöfe "Unsere Sorge um die Toten und die Hinterbliebenen. Bestattungskultur und Begleitung von Trauernden aus christlicher Sicht" vom 22. November 1994. Dieses Wort nimmt ausdrücklich Bezug auf das Gespräch mit den Bestattern und den ihnen zuzuordnenden Berufen und wirbt um ein gutes Miteinander von Kirche und Bestattern. Gern möchte ich an dieser Stelle auch Professor Dr. Konrad Baumgartner und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl für Pastoraltheologie in Regensburg für die kontinuierliche Bearbeitung des Themenbereiches "Bestattungskultur heute" danken. Sie haben nicht nur die Entwicklungen auf diesem Feld beobachtet und analysiert, sondern auch durch eine intensive Aus- und Fortbildung von Seelsorgern und Bestattern geholfen, Wege für eine angemessene Bestattungs- und Trauerkultur heute zu suchen.

Eben darum soll es ja auch in dieser Fachtagung gehen. So braucht es jetzt nicht meine Aufgabe zu sein, die tiefgreifenden Veränderungen im Umgang der Menschen heute mit Sterben, Tod und Trauer vor Ihnen ausführlich zu entfalten. Das ist mehrfach dargestellt und nicht zuletzt auch in der Fachzeitschrift des Bestatterverbandes in den letzten Jahren immer wieder zur Sprache gebracht worden. Ich möchte es mir vielmehr zur Aufgabe machen, angesichts der sich abzeichnenden Tendenzen auf diesem Gebiet - wie es in der Einladung zur heutigen Tagung heißt - "eine Bestattungskultur mit Zukunft auszuloten und neue Wege für ein kritisch-konstruktives Handeln aufzuzeigen".

I.
Lassen Sie mich wenigstens einige Blitzlichter auf die derzeitige Situation im Umgang der Menschen und der Gesellschaft mit Sterben, Tod und Trauerkultur werfen. Die Individualisierung der Bestattungsformen nimmt weiter zu. Letzter Schrei ist das Angebot, aus der Asche eines Hinterbliebenen sich einen Diamanten pressen zu lassen - vorerst als Angebot in den USA, aber das kommt wohl auch bald nach Europa. Die Anonymisierung der Bestattungen ist weiterhin im Vormarsch. Die Grabfelder für anonyme Bestattungen auf den Friedhöfen werden größer, wobei sich freilich auch wieder Stimmen regen, doch dem individuellen Gedenken an den Toten und der Trauer der Hinterbliebenen eine Chance zu geben. Die Professionalisierung im Bereich Bestattung und Trauerbegleitung nimmt weiter zu. Sie fächert sich mehr und mehr auf. Neuerdings steigen sogar Kirchgemeinden - zum verständlichen Verdruss des Bestatterverbandes - in das Bestattungsgeschäft ein.

Die Politik ist geneigt, der immer stärker werdenden Pluralisierung des Bestattungswesens, aber auch den Erwartungen von Mitbürgern aus anderen, besonders muslimischen Ländern durch eine Gesetzgebung entgegenzukommen, die bisher bestehende Festlegungen freigibt. Das zeigte sich jüngst bei der Diskussion um ein neues Bestattungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Wenn auch der Friedhofszwang bis jetzt noch nicht aufgehoben ist - schließlich ist das Bestattungsrecht Ländersache -, so ist doch eine Entwicklung zu weiteren Liberalisierungen hin zu erwarten.

Dazu kommt eine zunehmende Verbreitung nichtchristlicher, gleichsam "privatreligiöser" Vorstellungen hinsichtlich des Sterbens und des Todes, was sich etwa bei der Gestaltung von Grabdenkmälern zeigt, aber auch in den von esoterisch-ökologischen Vorstellungen durchsetzten Praxis von "Friedwäldern" als Ruheplatz von Urnen. Im Umgang mit dem Leichnam erweist sich die Mehrzahl der Menschen mehr und mehr als hilflos, was wiederum die Tendenz zur Professionalisierung verstärkt. Der Tote - so ein verbreiteter Eindruck - wird abgeschoben, der Leichnam als Sache behandelt und gleichsam der fachgerechten "Entsorgung" anvertraut. Andererseits gibt es aber auch eine schaurig-interessierte Neugier auf den toten Körper, wie sich in den makabren Vermarktungen präparierter Leichen als Kunst bei dem Plastinator und Anatom Günther von Hagens zeigt. Doch bleibt es immerhin umstritten, wenn aus bestimmten Gründen Leichen der Öffentlichkeit vorgestellt werden, wie etwa jüngst bei der Präsentation der erschossenen Söhne des Diktators Hussein in Bagdad vor der Weltpresse.

Ich gebe zu: Die aufgezeigten Entwicklungen und Tendenzen zeigen eine regionale Ungleichzeitigkeit. Was in den Ballungsräumen unserer Städte passiert, muss noch nicht Wirklichkeit im ländlichen Raum sein. Und was Extravaganz kleinster Kreise im Selbstverwirklichungsmilieu unserer Gesellschaft ist, muss noch nicht allgemeine Praxis breiter Bevölkerungskreise sein. Es gibt meines Erachtens im Blick auf unsere derzeitige Bestattungskultur noch keinen Anlass, den Ruf "Land unter!" ertönen zu lassen! Dennoch ist klar: Wir stehen vor einem tiefgreifenden Wandel unserer über Jahrhunderte vom christlichen Geist geprägten Bestattungs- und Trauerkultur, der alle nachdenklichen Zeitgenossen und nicht zuletzt die Kirchen herausfordert.

II.
Es ist ja nicht so - um in einem zweiten Gedankenschritt unser Thema in einen größeren Kontext einzuordnen -, als ob die Zivilgesellschaft an der Frage nach den Toten uninteressiert wäre. Ich erinnere nur an die heftige Diskussion, die vor kurzem die Frage nach dem Holocaust-Mahnmal in Berlin, und zwar nach seinem Ob und(!) seinem Wie, ausgelöst hat. Die Frage nach dem Verbleib der Toten im Gedächtnis der Gesellschaft ist ein geheimer Stachel, der sich weder durch tagespolitisches Taktieren noch durch Ästhetisierung des Todes wegretuschieren lässt. Soeben beginnt ein ähnlich kontroverses Gespräch über ein mögliches Dokumentationszentrum der Vertreibungen im 20. Jahrhundert und ihrer zahllosen Opfer. Die Toten lassen uns nicht los.

Man mag fragen, ob diese Themen etwas mit unserem Fachkongress zu tun haben. Sicher haben wir das individuelle Totengedenken von dem der Gesellschaft insgesamt zu unterscheiden. Dennoch ist beides nicht voneinander zu trennen. Es ist richtig: Die Gesellschaft transformiert das Totengedächtnis der Einzelnen und deren Trauerverhalten noch einmal auf ihre Weise. Aber kollektive Formen des Gedächtnisses sind ebenso prägend wie individuelle, ja: Sie sind wie ein Netz, in dem die Unbeholfenheit des Einzelnen, seiner Trauer und seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen, hilfreich aufgefangen wird. Es gibt kein restloses Aufgehen des einzelnen Menschen in einer monadenhaften Individualität. Wir sind immer zugleich in und mit unserer Individualität soziale Wesen, deren menschliches Profil sich geradezu darin zeigt, dass wir auf Gemeinschaft, auf Sozialität hin angelegt sind. Tiere bestatten einander nicht. Sie setzen sich gegenseitig keine Grabdenkmäler! Sterben und Tod sind anthropologische Grunddaten, die nicht zu überspringen sind - es sei denn, wir geben unsere Menschlichkeit auf. Ohne Riten und Rituale vermögen wir nicht zu leben, besonders an den Wendepunkten des Lebens, gerade auch beim Sterben und im Angesicht des Todes. Selbst in der atheistisch-sozialistisch geprägten Gesellschaft der DDR gab es entsprechende Riten der persönlichen und gesellschaftlichen Verabschiedung von den Toten. Ich erinnere daran, wie sich nach der politischen Wende hierzulande im Osten auf den Friedhöfen und öffentlichen Plätzen unserer Städte und Kommunen wieder - weithin renoviert - die Denkmäler für die Gefallenen der letzten Kriege präsentieren.

Solche Überlegungen helfen mir, angesichts des vielfältigen Wandels in der gegenwärtigen Bestattungs- und Trauerkultur nicht in einen anthropologischen Pessimismus zu verfallen, der überall nur Verfall und Schwinden von Humanität konstatiert. Manche Skurrilitäten im bereich des Bestattungswesen sind für mich eher Ausdruck von Hilflosigkeit und daraus resultierender Geschmacksverirrung als bewusste Inhumanität. Es gilt - so meine ich - die kulturproduktiven Momente des anthropologischen Urdatums Sterben und Tod neu in den Blick zu nehmen, ja diese zu stimulieren. Das kann durch Einzelne geschehen, durch Gruppen, durch andere zivilgesellschaftliche Akteure, wie etwa Bildungseinrichtungen, Verbände oder mediale Vermittler und vor allem auch durch die Kirchen.

III.
Damit berühre ich in einem dritten Gedankenschritt das Potential, das der christliche Glaube und, durch diesen getragen, die Kirchen in diesen Vorgang der Humanisierung von Sterben und Tod entscheidend einbringen können. Das christliche Ethos im Umgang mit Tod und Trauer zeigt sich zutiefst in den jeweiligen kulturellen Formen ihrer Bewältigung, die übrigens recht unterschiedlich aussehen können.

Es ist ja nicht so, als ob der christliche Glaube notwendigerweise eine kulturelle Uniformität erzeugen muss, auch nicht hinsichtlich des Umgangs mit Tod und Trauer. Man mag nur einmal die schlichten, altchristlichen Grabmäler in den Katakomben Roms mit den goldgefassten, prunkvollen Särgen vergleichen, die in manchen Barockkirchen auf Altären aufgebaut sind und die dem frommen Betrachter die präparierten Knochen und Gewandreste der Heiligen gleichsam in einer Mischung von Triumph und Mahnpredigt präsentieren. Gunther von Hagens hätte sicher seine Freude daran! Diese Sarkophage sprechen freilich vom Glaubensmut und dem Vorbildcharakter der Toten für die Lebenden und sie verweisen zugleich auf die Herrlichkeit des ewigen Lebens und die neue Leiblichkeit in der Welt Gottes. Oder denken wir an die ganz andere Grabkultur des Pietismus des 18. und 19. Jahrhunderts, etwa der Herrnhuter Brüdergemeine. Noch heute kennen Friedhöfe strenger Ordensgemeinschaften durchaus so etwas wie anonyme Bestattung, wenn sich auf dem Grab nur ein schlichtes Holzkreuz ohne Namen findet - aber eben nicht aus Ersparnisgründen, sondern aus dem Glaubenswissen heraus, dass unser eigentlicher Name in Gott verborgen ist und bürgerliche Identität letztlich zweitrangig bleibt. Und was waren Leichenfrauen und Klageweiber in der Bestattungskultur agrarischer Gesellschaften anderes als Dienstleister! Der Unterschied ist nur: Diese Dienstleister waren billiger - sie kosteten nur eine ordentliche Bewirtung nach dem Begräbnis!

Nein: Nicht der kulturelle Wandel ist das Problem, sondern die Sinnentleerung von Riten und Bräuchen im Umfeld von Begräbnis und Trauer um die Toten. Nicht Riten schaffen Sinn, sondern Sinn schafft sich Gestalt und Kontinuität in Ritus und Brauchtum. Wir hier in den neuen Bundesländern als Geschädigte des staatlich verordneten Sozialismus mit seinen Zwangsritualen wissen, dass diese Aussage wahr ist.

Es ist übrigens interessant, dass die Christen in den ersten Jahrhunderten ihrer Geschichte sich dem heidnischen Betrachter im römischen Reich weithin als Begräbnisgesellschaften präsentiert haben. Das hatte etwas mit dem Vereinswesen der Antike zu tun, das neben Berufs- und Religionsgenossenschaften eben solche Vereine kannte, die sich nur zum Zweck der Absicherung eines würdigen Begräbnisses bildeten. Diese Möglichkeit griffen die christlichen Gemeinden auf, da sie anfänglich noch keinen anderweitigen gesicherten Rechtsstatus hatten. Freilich: Es zeigte sich, dass der Auferstehungsglaube der Christen bald die heidnischen Begräbnisriten veränderte, nicht nur nachweislich in den Inschriften und künstlerischen Gestaltungen der Denkmale, sondern auch in der Ablösung der heidnischen Totenmähler durch die Feier der Eucharistie für die Verstorbenen. Ich denke dabei an die Mahnung des Apostels Paulus, die er im 1. Thessalonicherbrief, dem ältesten christlichen Briefdokument, das wir kennen (um 50 n. Chr. geschrieben), ausspricht: "Trauert nicht wie die anderen, die keine Hoffnung haben!" (1 Thess 4,13). Die Christen dürfen durchaus trauern - aber eben anders. Worin besteht dieses Andere?

Man kann vom christlichen Ethos im Blick auf Sterben und Trauer nicht sprechen ohne Kenntnis des christlichen Menschenbildes. Was Sterben und Tod sind, enthüllt sich im Leben - in der Art, wie wir es führen, es gestalten, es feiern können. Die ars moriendi ist umfangen von der ars vivendi. Man muss ja nicht, wie strenge Kamaldulensermönche es hin und wieder zu tun pflegten, manchmal in einem Sarg schlafen. Ich habe mir von meiner im Februar dieses Jahres verstorbenen Mutter einen kleinen Zettel aufgehoben, den ich auf meinem Schreibtisch liegen habe und täglich anschaue. Der Zettel war befestigt an einem von ihr mit eigener Hand genähten Kleid. Auf dem Zettel war vermerkt: Mein Sterbehemd. Wir haben sie in diesem Hemd in den Sarg gelegt. Für mich ist dieser kleine Zettel eine bleibende Erinnerung an den Tod meiner Mutter und an meinen eigenen Tod: ein sehr persönliches memento mori ...

Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant notierte grundlegende Fragen zu unserem Leben: Was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch? Der Mensch ist "krummes Holz" und "aufrechter Gang" in einem, wie uns die Philosophen und unser gesunder Menschenverstand belehren. Der christliche Glaube weiß freilich vom Menschen noch mehr zu sagen. Ich fasse dieses "Mehr" in drei Sätzen.

Der Mensch ist zum Ersten kreatürlich. Und das bedeutet: Er ist vergänglich. Kreatürlichkeit verträgt sich allerdings durchaus mit dem Wissen, dass auch zeitlich begrenztes, geschenktes Leben gerade wegen seiner Begrenztheit kostbar und schön ist. Das wusste auch ein Nichtchrist wie Jean Paul Sartre, dem Ewigkeit ein unerträglicher Gedanke war. Wenn Ewigkeit in der Tat nur aus Verlängerung des irdischen Lebens bestünde, dann wäre das auch so.

Der Mensch ist zum Zweiten gottebenbildlich - in seiner rätselhaften Freiheit, in seiner Dialogfähigkeit, in seiner Kraft zur Weltgestaltung und in seiner personalen Würde, die er aus sich selbst hat und nicht durch Deklarierung von außen zugesprochen bekommt, etwa durch die Gesellschaft oder den Staat.

Und der Mensch ist zum Dritten "erlöster Sünder", also durch ein Drama gezeichnet, das durch Gottesdistanz wie auch durch Gottesnähe gekennzeichnet ist - wie bei einer Freundschaft, die durch einen schmählichen Verrat des einen Partners belastet wurde und dennoch als Freundschaft gehalten, ja sich erneuert hat. Freundschaft, in der es einmal Schuld und Vergebung gegeben hat, gewinnt an Intensität.

Vielleicht wird die christliche Sicht des Menschen noch anschaulicher in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32). Wir kennen die Erzählung: Der Sohn, der auszog, auf eigene Faust seine Freiheit zu suchen - und der sie fand bei der Heimkehr, in den Armen des Vaters. In diesem Prozess des Sich- Verlierens und Sich- Wiederfindens begreift der Sohn, wer er selbst ist. Was der Mensch ist, ist an dieser Geschichte ablesbar. Ich formuliere es in Kurzfassung einmal so: Der Mensch ist auf einen großartigen Weg gestellt. Er ist in ein wunderbares Gespräch verwickelt. Und er ist bestimmt - nicht für die Grube, sondern für eine unfassbare Freude, eben für das "Fest", nach dem alle Fasern unseres Herzen verlangen: das Leben in Fülle und ohne Ende.

Wir sagten, dass Sterbe- und Trauerkultur immer Ausdruck eines Menschenbildes ist. Um unser derzeitiges Menschenbild ist es - ohne in Kulturpessimismus zu verfallen - nicht gut bestellt. Es ist zumindest zerfasert, zerbröselt, in viele kleinste Einheiten aufgelöst. Der Politiker weiß etwas vom Menschen, der Chemiker, der Neurobiologe, der Künstler und der Psychologe, auch der Bestatter weiß und sieht und erlebt so manches, und auch der berühmte Mann auf der Strasse macht sich seine hemdsärmligen Gedanken - aber wir bekommen diese Einzelheiten nicht mehr zusammen. Die Zerfaserung des Menschenbildes spiegelt sich in der Zerfaserung unserer Bestattungskultur. Die "Unfähigkeit zum Trauern" (A. Mitscherlich) hat etwas zu tun mit unserer Unfähigkeit zu sagen, was unser Leben wertvoll macht. Die Frage wird sein, wer diese Leerstellen des Sinnverlustes heute auszufüllen vermag. Ich sehe in diesem Wettlauf vor allem die Religionen am Start - kaum (weltweit gesehen) den Atheismus oder den vornehm kühlen Agnostizismus. Ich schaue auch, gerade in den neuen Bundesländern, auf die sogenannten Konfessionslosen, die für sich reklamieren, der "humanistischen Konfession" anzugehören. Sie glauben nach eigenen Angaben an humane Werte, an das Gute im Menschen. Sie bekennen sich zu gewissen geistigen bzw. ethischen Normen - und gestalten danach ihren Umgang mit den Toten und den Hinterbliebenen. Wie dem auch sei: Unsere von der Aufklärung und dem Religionsskeptizismus geprägten Regionen Westeuropas bilden inzwischen eine Insel im Meer der übrigen Menschheit, deren Umgang mit Tod und Trauer um die Verstorbenen bis in die Gegenwart hinein wie selbstverständlich von religiösen Überzeugungen getragen ist.

IV.
Wir können die Frage nach den künftigen geistigen Grundlagen unserer vom Säkularismus geprägten Gesellschaft hier nicht weiter vertiefen. Ich möchte vielmehr in einem vierten und letzten Gedankengang einige Punkte nennen, die einen kritisch-konstruktiven Beitrag zur Gestaltung unserer Bestattungs- und Trauerkultur darstellen.

Den wichtigsten Beitrag des christlichen Glaubens zu diesen Fragen hatten wir schon angedeutet: Es ist das Wachhalten der Frage nach den Toten und deren Geschick. Die Moderne meint ja ohne die Kraft der Erinnerung auskommen zu können, ohne die "biblisch-anamnetische Vernunft", wie dies der katholische Theologe Johann Baptist Metz in einem Gespräch mit Jürgen Habermas einmal genannt hat. Die Erinnerung an die Opfer, an die Toten der Geschichte bewahrt uns vor der ständigen Versuchung, eine Zukunft auf dem Reißbrett unserer Vernunft zu entwerfen, bei der die tatsächlichen und möglichen Opfer vergessen werden. Ich möchte diesem Gedanken, der mir im Zusammenhang eines vertieften christlichen Beitrags zu einer Erneuerung unserer Bestattungs- und Trauerkultur wichtig erscheint, hier einen etwas längeren Raum widmen.

Mich hatten in diesem Jahr Studenten der Erfurter Universität (wohlgemerkt: keine Theologen!) eingeladen, anlässlich einer von ihnen mitgetragenen Aufführung der Matthäuspassion von J. S. Bach etwas zur Passionsmystik und deren Verständnis heute zu sagen. Ich habe in diesem Zusammenhang die jungen Leute aufmerksam gemacht auf den Unterschied zwischen dem kommunikativen Gedächtnis der Menschen und dem kulturellen Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis, weithin auf die Alltagskommunikation bezogen, hat einen beschränkten Zeithorizont. Man sagt, es reiche etwa drei bis vier Generationen zurück. In diesem Gedächtnis wird weithin das bewahrt, was biographisch erlebt und als biographisches Erleben überliefert werden kann.

Davon ist abzuheben das kulturelle Gedächtnis, das sich nicht so sehr durch Alltagsnähe auszeichnet, das sogar eine gewisse Alltagsferne hat. Das kulturelle Gedächtnis übersteigt den Lebensalltag von Menschen und ist weithin religiös grundiert. Schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit werden durch kulturelle Formung, also durch Texte, Riten, Feste, auch durch Denkmäler, wachgehalten, und zwar nicht in individueller Kommunikation, sondern in einer institutionalisierten Form kollektiver Weitergabe des Erinnerns.

Das in den Kirchen gefeierte Abendmahl, die Eucharistie ist ein Beispiel für kulturelles Gedächtnis. Thomas von Aquin hat über die Eucharistie in einem bekannten Hymnus gedichtet: "Denkmal, das uns mahnet, an des Herren Tod", Vgl. Gotteslob. Katholisches Gesang- und Gebetbuch Nr. 546, 5. Strophe. Wenn man so will: Hier, in diesem Denkmal, diesem memoriale der gefeierten Eucharistie bleibt im gemeinsamen Gedächtnis lebendig, was Urimpuls des Christentums ist: die freiwillige Lebenshingabe Jesu Christi als Grund unseres Heiles. Jan Assmann, ein in diesem Zusammenhang unverdächtiger Zeuge, hat es einmal so formuliert: "Das kulturelle Erinnern mit seinen Riten, Festen und Traditionsbräuchen ermöglicht es dem Einzelnen, dazuzugehören, das heißt sich als Mitglied einer Gesellschaft im Sinne einer Lern-, Erinnerungs- und Kulturgemeinschaft zu verwirklichen."
Die christlichen Feste haben hier ihre anthropologischen und soziologischen Wurzeln. Der Mensch als soziales und natürlich auch religiöses Wesen (wie immer man hier Religion definiert) kann seine Identität nur finden in kommunikativen und kulturellen Kontexten, die er in seiner Umwelt vorfindet bzw. für die er sich entscheidet. Bekannt ist, dass totalitäre Staatsgebilde, die mit einem ganzheitlichen, quasireligiösem Anspruch auftreten, sich häufig eigene Feste und Riten schaffen, die als Medien des kulturellen Gedächtnisses dienen sollen. Sie sind dann meist den religiösen Festen und Riten nachempfunden. Ich erinnere etwa an die "Jugendweihe" der DDR-Zeit. Sie dienen vordergründigen Zwecken, wie der Stärkung der nationalen Identität oder der Festigung des jeweiligen ideologisch gefärbten Staatsbewusstseins. Aber auch demokratischen Gemeinwesen ist dieses Phänomen nicht unbekannt. Ich weise etwa auf die zivil-religiöse Einfärbung US-amerikanischer Gedenktage hin.

Die Karfreitagsliturgie, aus der sich ja als besondere Form die gesungene Passion mit ihrer besonderen Mystik entfaltet hat, ist ein spezielles Beispiel für solche Formen des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass der ursprüngliche "Sitz im Leben" auch der Bach'schen Passionen der Gottesdienst ist. Wir führen heute die Passionen konzertant auf. Wir rezipieren sie als eine Art ästhetisches Ereignis, als Kunstgenuss. Die Leipziger Bürger der Bachzeit kamen dagegen am Karfreitag nachmittags zum Gottesdienst, in dem die Predigt und das Gebet im Mittelpunkt standen. So hat Bach auch selbst seine Musik verstanden. Sie war und sollte sein: Gottesverehrung, Antwort des Glaubens, gemeinsame Verinnerlichung der Botschaft von Jesu Heilstod auch für den heute lebenden Menschen.

Der Gottesdienst der Kirche also, nicht so sehr das Wort, der aufbewahrte Text, das Buch als solches ist der eigentliche Ort des kulturellen, näherhin des religiösen Gedenkens. Darum lebt die Kirche und das, was sie durch die Jahrhunderte transportieren will, nicht in Bibliotheken fort, sondern in den gottesdienstlichen Versammlungen. Das erlaubt den Umkehrschluss: Wenn keine Gottesdienste mehr gefeiert werden, verliert sich das Christentum. Es duftet dann - im Bild gesprochen - noch etwas aus der Parfümflasche an christlichem Duft in die Gesellschaft hinein, aber dieser Duft verdunstet bald und verliert sich, wenn die Kirchen an den Sonntagen auf Dauer leer bleiben.

Der wichtigste Beitrag der Christen zu einer Bewahrung und Erneuerung eines christlich Umgangs mit Tod und Trauer ist die authentische Feier der Eucharistie, des Abendmahls. Es ist meine feste Überzeugung: Solange hier in Erfurt in den Kirchen Christen liturgisch den Tod des Herren und seine Auferstehung feiern und aus der Kraft dieser Feier ihr Leben gestalten, wird es keine rein technische Entsorgung der Toten in dieser Stadt geben.

Ich übe meinen bischöflichen Dienst in einer Region aus, die wie kaum eine andere zwar tief vom Christentum geprägt ist und dennoch dieser Tradition weithin entfremdet ist. Mir ist bewusst, dass es keine einfache Verlängerung christlicher Gepflogenheiten und Bräuche in die Zukunft geben kann. In der Breite der Bevölkerung sind dafür die Quellen versiegt. Wenn ich die Anzeigenseite der Zeitungen aufschlage, sehe ich nur wenige Todesanzeigen mit christlichem Hintergrund. Eine Fortführung des kulturellen christlichen Gedächtnisses wird es nur geben, wenn es bei uns zu einer grundlegenden Neuevangelisierung kommt. Ob das gelingen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Christen und die Kirchen willens sind und Phantasie entwickeln, sich mit ihrer Lebens- und Weltsicht den Menschen heute verständlich zu machen.

Ich bemerke, dass die Vorurteile gegenüber dem Christlichen hier im Osten diffuser sind als in der Altbundesrepublik. Die Fremdheit des Christlichen weckt manchmal schon hie und da ein neues Interesse. Dort, wo sich authentisch Christliches zeigt, wird es keineswegs ironisiert oder als belanglos abgetan. Das gibt mir und allen, die hier seelsorglich tätig sind, die Zuversicht, durchaus neues Verständnis für den christlichen Glauben zu wecken. Nochmals: Das bedeutet, dass wir Christen und Kirchen uns auf eine Situation einzustellen haben, in der das Herkömmliche eben nicht mehr das Selbstverständliche ist - eben beispielsweise die Begleitung in Tod und Trauer als ausschließlich kirchlich-religiöse Domäne.

Im Lichte dieser Überlegungen mache ich auf einige Initiativen aufmerksam, die im Blick auf das Problem Sterben, Todesverarbeitung und Trauerbegleitung aus christlicher Sicht neue Möglichkeiten eröffnen.

1. Wir sollten überlegen, ob es außerhalb der herkömmlichen Liturgie noch weitere Möglichkeiten gibt, der Sehnsucht der Menschen nach dem Nicht-Vergessenwerden zeichenhaft Ausdruck zu verleihen bzw. diese Sehnsucht wach zu halten. Es ist ja nicht so, als ob die anonymen Bestattungsformen auf Dauer tiefe Befriedigung bei den Menschen auslösen. Meistens kommt mit einem gewissen Abstand doch die Frage auf, ob es nicht gut wäre, einen speziellen Ort der Trauer zu haben, an dem man das Gedenken an den Verstorbenen festmachen kann.

In Erfurt gibt es seit einiger Zeit das Projekt "Totengedenken im Erfurter Dom". An jedem ersten Freitag im Monat, zur Todesstunde Jesu um 15.00 Uhr, also mitten im dichtesten Einkaufs- und Arbeitsschlussgewühl, läutet eine Glocke des Domes und lädt Menschen ein, in einer kleinen Feier der Toten zu gedenken, für die sie keinen Ort, kein Grab, keine sonstige Trauerstätte haben. Ein Totenbuch ist aufgeschlagen, in das Namen eingetragen werden können, Kerzen können aufgesteckt werden, eine kleine Prozession findet statt. In einer kurzen Homilie wird das eigene Leben in den Blick genommen. Fürbitten für die Toten und die Lebenden werden gesprochen. Die Feier dauert nicht länger als 35 - 40 Minuten. Es kommen durchaus auch Menschen, die sonst keinen Bezug zu Kirche und christlichem Glauben haben. (Herr Dompfarrer Dr. Hauke lädt uns alle heute Abend zu einer solchen Feier ein).

Ein anderes Beispiel: Im Bistum Münster wird überlegt, ob Kirchen und Kapellen, die nicht mehr für Gottesdienste benötigt werden, als Begräbnisstätten angeboten werden sollten.

Und ein drittes Beispiel: Am zweiten Sonntag im Dezember kommen an vielen Orten Deutschlands Eltern, die um ihre (früh) verstorbenen Kinder trauern, zusammen, um in einer religiösen Feier ihrer toten Kinder zu gedenken und in ihrer Trauer Trost zu erhalten.

Das sind Beispiele für Möglichkeiten, konstruktiv etwas zu tun für die Erinnerung an die Toten, die ihren Platz mitten in unserem Leben brauchen. In Gegenden, in denen die Allerseelentradition oder das Begehen des Totensonntags lebendig ist, wird man solche neuen Formen des Totengedenkens vielleicht weniger benötigen. Doch braucht jede Tradition immer wieder Verlebendigungen, Anstöße von außen und von innen, damit sie nicht verkrustet.

2. Hinweisen möchte ich auf eine Initiative, die aus verwandten Motiven immer mehr Menschen zu tätigem Handeln motiviert: die Hospizbewegung. Unsere Hochleistungsmedizin, so erfreuliche Heilungschancen sie auch im Einzelnen eröffnet, lässt die Sterbenden oft zwischen den technischen Apparaten allein. Ich kann hier nur andeuten, was die Begleitung Sterbender durch menschliche Nähe bedeutet - für den Sterbenden selbst, aber ebenso auch für die Person, die sich auf eine solche Begleitung einlässt. In der Erfahrung der körperlichen Nähe des hilflosen und vom Tode gezeichneten Menschen erwächst ein neues, ursprüngliches Wissen um unser eigenes Lebensgeheimnis. Es wächst eine Vertrautheit mit dem Leib und dann auch mit dem Leichnam, der mehr ist als ein Gegenstand, den es irgendwie zu entsorgen gilt. Aus der Zuwendung von Mensch zu Mensch erwächst eine Kultur der Menschlichkeit und Liebe, die auch den Tod überdauert und zu einer mitmenschlichen Trauer befähigt, die nicht in Hoffnungslosigkeit versinkt. Es ist bezeichnend, dass sich gerade auch nichtchristliche Menschen für diese Hospizarbeit einsetzen und in ihr einen tiefen Sinn erkennen.

3. Speziell sind natürlich alle Dienste wichtig, die eine christliche Gemeinde auch in unserer Zeit Sterbenden und dann den Hinterbliebenen leisten kann - vom Priester und Pastor angefangen über die von der Gemeinde organisierten Besuchsdienste bis hin zu den bei der Bestattungsfeier präsenten Gemeindemitgliedern. Ich höre immer wieder, wie tröstlich es auch heute empfunden wird, wenn beim Sterbegottesdienst (Requiem) und auch bei der Beerdigung Gemeindemitglieder, Nachbarn und Freunde anwesend sind - und eben nicht nur aus Konvention, sondern mitfeiernd und mitbetend. Unsere Friedhöfe sind Orte der Neuevangelisierung. Ich wünschte, alle Pfarrer und Gemeinden würden diese Einsicht verinnerlichen. Hier gelten alle jene Mahnungen und Ermunterungen, die in dem eingancs genannten Schreiben der Deutschen Bischöfe "Unsere Sorge um die Toten und Hinterbleibenden" (vgl. bes. die Kapitel 3 und 4) enthalten sind und hier nicht wiederholt werden müssen.

Es wird auch in Zukunft vom Vorsteher einer Bestattungsfeier und den dort anwesenden Christen abhängen, ob eine kirchliche Beerdigung österliche Hoffnung auszustrahlen vermag oder nur ein leerer Ritus bleibt, der peinliche Gefühle bei den näher Beteiligten zurücklässt. Was da in Ausbildung und Begleitung, an Bemühung um liturgischen und menschlichen Kompetenzzuwachs der Beteiligten investiert wird, hilft beim Dienst der Kirche an trauernden Menschen.

Ausdrücklich sei hier dankbar anerkannt, dass viele Bestatter sich um eine sensible und anteilnehmende Begleitung der Trauernden bemühen. Wer von den Bestattern dies aus eigener christlicher Lebensorientierung tut, darf wissen, dass Zuspruch und Tröstung aus dem Gottesglauben heraus nicht allein kirchlichen Amtsträgern vorbehalten ist.

4. Einen Punkt spreche ich an, der noch einer weiteren Überlegung und Diskussion bedürfte, den Dienst von Christen bei der Bestattung Verstorbener ohne Kirchenzugehörigkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass sich Christen auch ehrenamtlich bei einem Dienst im Umfeld von Trauerbegleitung und Bestattung zur Verfügung stellen. So mancher Bestatter hat inzwischen ausgebildete Theologen in seiner Firma angestellt. Und so mancher freie Redner, der als Christ lebt und sich zu seinem Glauben bekennt, wird in seinem Sprechen und Verhalten am Grab und in der Begleitung der trauenden Angehörigen einen religiösen Dienst erkennen.

Nicht, als ob Menschen dann doch etwas untergeschoben werden soll, was sie nicht haben wollen! Ich meine es vielmehr in dem Sinne, dass es heute vielfach eine zaghafte spirituelle Suche nach einem Trost gibt, den man in den überkommenen kirchlichen Riten und Worten nicht mehr zu finden meint. Hierbei spielt dann das persönliche Zeugnis eines nicht von der Kirche geschickten und bei ihr angestellten Trauerbegleiters, auch eines Redners eine wichtige, ja eine entscheidende Rolle.

Natürlich ist das ein heikler Punkt, der im Grunde an die Frage der Identität des Christlichen rührt. Man könnte einen solchen Dienst eines Christen an nichtchristlichen Zeitgenossen als mimikry negativ bewerten. Man könnte in ihm aber positiv auch ein Angebot sehen, das im Sinne eines sinnstiftenden bzw. sinneröffnenden Dienstes das Evangelium in säkularem Umfeld zur Darstellung bringt.

Hierüber müsste noch eigens und vertieft nachgedacht werden. Das Ergebnis des Prozesses der Entkirchlichung ist ja nicht unbedingt der unreligiöse Mensch, sondern einer, der durchaus spirituelle Sehnsüchte hat. Als Kirchen sollten wir mit solchen Menschen respektvoll umgehen. Könnte es nicht Dienstleistungen einzelner Christen und vielleicht sogar der Kirchen geben, die in diesem Sinne kirchenfernen Menschen heute lebensdienlich sind? Wir hier in Erfurt versuchen dies auch an anderen biographischen Wendepunkten, etwa mit der Lebensweihe für ungetaufte Jugendliche, oder mit Segnungsgottesdiensten am Valentinstag, wo Menschen religiös auf das hin angesprochen werden, was sie als eigenes Lebensgeheimnis erahnen: glückende Beziehungen. Und diese kann man bekanntlich nicht kaufen. Man muss sie sich schenken lassen.

Seelsorge unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft, in der unterschiedliche Sinnangebote miteinander konkurrierend präsent sind, wird sich nicht in einen Schmollwinkel zurückziehen dürfen, sondern mit "demütigem Selbstbewusstsein" das, was sie vom Evangelium her anzubieten hat, unter die Leute bringen.

Im Grunde eröffnet sich hier eine Parallele zur Hospizbewegung, bei der oftmals gerade Nichtchristen mit an vorderster Front stehen. Das Evangelium leuchtet eben nicht nur in Kirchenräumen, sondern es hat Leuchtkraft überall, wo Menschen mit der Botschaft vom Gottesreich, das jetzt und hier schon mitten unter uns angefangen hat, bewusst - oder auch unbewußt - ernst machen.

5. Über die Aufgaben und Möglichkeiten der bei Bestattung und Trauerbegleitung unmittelbar Beteiligten hinaus möchte ich wenigstens noch auf den Bereich der Bildung und Erziehung, speziell der schulischen Bildung und Erziehung aufmerksam machen. Im "sozialen Lernen" von Schülern sollte unbedingt auch die Erfahrung von Alter, Sterben und Tod ermöglicht werden. Kinder und Jugendliche müssen mit der Realität von Sterben und Tod, auch mit der Realität des Leichnams vertraut gemacht werden, damit dies alles nicht bloß eine virtuelle Wirklichkeit bleibt.

Wenn Schüler z. B. in Altersheimen, Behinderteneinrichtungen, Suppenküchen und auch in Krankenhäusern unter sorgfältiger Begleitung dem vermindert leistungsfähigen, ja dem verlöschenden Leben begegnen, begegnen sie ja letztlich der Wirklichkeit des eigenen Lebens. Das Projekt "Compassion", das in Baden-Württemberg Schülern während des Schuljahres solche reflektierten Erfahrungen vermittelt, verdient größte Aufmerksamkeit. Beerdigungen von Mitschülern, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen und Trauerfeiern für sie - von den Jugendlichen mitgestaltet -, sind meist tiefgreifende Erlebnisse für junge Leute.
6. Nur andeuten kann ich, dass die gesellschaftliche Diskussion über Grenzfragen des menschlichen Lebens im Zusammenhang unseres Themas "Bestattungskultur" immer wichtiger wird. Bei uns in Deutschland hat es in jüngster Zeit angesichts der neuen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, aber auch angesichts der Frage nach der Zulassung der Euthanasie diesbezüglich eine engagierte Debatte gegeben. Haben sich die Christen und Kirchen ausreichend genug in diese Debatte eingeschaltet? Es muss uns Kirchen ein Anliegen sein, mit Ärzten, mit den Frauen und Männern aus den Pflegeberufen, mit Politikern, Künstlern u. a. über diese Fragen im Gespräch zu bleiben. In einer offenen Gesellschaft werden Weichenstellungen für die Zukunft, wenn überhaupt, nur im öffentlichen Gespräch getätigt. Der gesellschaftliche Umgang mit den Toten hängt davon ab, wie die Gesellschaft mit den Lebenden umgeht - gerade mit den Schwachen, den Hilflosen, den "Unproduktiven". In diesem Sinne ist die jeweilige Bestattungs- und Trauerkultur ein Seismograph für das kulturelle Gesamtklima einer Gesellschaft. Der Einsatz der Kirchen für das Leben hat also durchaus etwas mit dem Thema dieser Tagung zu tun.

Ich komme zum Abschluss noch einmal auf die Fragen des Königsberger Philosophen Immanuel Kant zurück: Was kann ich wissen? Wir wissen um unsere Vergänglichkeit, die auch eine noch so moderne Medizin nicht aufheben kann. Was kann ich hoffen? Als Christen hoffen wir auf die Aufhebung unserer Vergänglichkeit in einem zweiten Schöpfungsakt Gottes, der mit Jesu Auferstehung von den Toten schon begonnen hat. Was soll ich tun? Uns ist aufgetragen, "in Ehrfurcht unseren Weg zu gehen mit Gott", wie es der Prophet Micha formuliert hat (vgl. Micha 6, 8), einem Gott, der auch die Toten zum Leben erwecken kann. Was ist der Mensch? Er ist mehr als "krummes Holz" und "aufrechter Gang". Er ist Gesprächspartner Gottes. Er ist - mehr als er es selbst zu denken wagt - geliebt und angenommen, über den Tod hinaus. Darum wagen Christen - wenngleich unter Tränen - auch am offenen Grab das österliche Alleluja anzustimmen.

Anmerkungen:
1  Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Kultur und Gedächtnis. Hg. von J. Assmann und T. Hölscher, Frankfurt/Main 1988, S. 9-19, hier S. 15.2  Vgl. Metz, Johann Baptist: Compassion. Weltprogramm des Christentums. Soziale Verantwortung lernen. Freiburg im Breisgau 2000.

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