| Pressemeldung

Brief von Joseph Kardinal Ratzinger und Angelo Kardinal Sodano vom 18. September 1999 an die Deutsche Bischofskonferenz

Aus dem Vatikan, am 18. September 1999
Dem Hochwürdigsten Herrn
Bischof Dr. Dr. KARL LEHMANN
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Exzellenz! Hochwürdiger Herr Bischof!
Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt!

In den vergangenen Wochen ist der Heilige Stuhl von verschiedenen Seiten über die schwierige Situation informiert worden, die in Deutschland in der Frage der rechten Zuordnung der katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen zur staatlich geregelten Beratung nach dem letzten Papstschreiben vom 3. Juni 1999 und dem Beschluss des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz vom 22. Juni 1999 entstanden ist. Zugleich wurde Papst Johannes Paul II. um ein klärendes Wort gebeten, um die gegenwärtigen Spannungen und Unsicherheiten in der Kirche zu überwinden. Nach einer Zeit des Hörens, des Überlegens und des Gebetes hat der Heilige Vater durch Weisungen an die beiden unterzeichneten Kardinäle die wesentlichen Elemente für die Antwort auf die vorgelegten Fragen angegeben. Diese Elemente wurden in der Begegnung vom 15. September 1999 den Herren Kardinälen von Deutschland und Ihnen, Exzellenz, als dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bereits zur Kenntnis gebracht.

Es wurde die Frage gestellt, ob es der Intention des Heiligen Vaters entspricht, die Beratungsbescheinigung mit dem von ihm gewünschten Zusatz zu versehen und zugleich zu dulden, dass ihn die staatlichen Stellen faktisch ignorieren und den Schein auch mit diesem Zusatz als ausreichend für die straffreie Durchführung der Abtreibung gelten lassen wollen. Abgesehen von der manchmal erlaubten Haltung der Toleranz gegenüber einem Gesetz, das man nicht verändern kann, ist die Antwort auf die oben erwähnte konkrete Frage in den gegenwärtigen Umständen in Deutschland gemäß der Intention des Heiligen Vaters negativ. In seinem Schreiben vom 3. Juni 1999 hat der Papst klar seinen Wunsch geäußert, dass die kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen keine Bescheinigung mehr ausstellen, die zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden kann. Entscheidend für die Wertung des Problems ist die Frage - so formulierte der Heilige Vater im genannten Brief -, "ob der am Ende stehende Text weiterhin die Verwendung des Scheins als Zugang zur Abtreibung gestattet. Wäre dies der Fall, so stünde er im Widerspruch zu meinem eingangs erwähnten Schreiben [vom 11. Januar 1998] und zur gemeinsamen Erklärung Eurer Bischofskonferenz vom 26. Januar 1998, meiner Bitte Folge zu leisten und in Zukunft nicht mehr einen ,Schein solcher Art' ausstellen zu lassen" (Nr. 3). Würde der Schein weiterhin als Zugang zur Abtreibung dienen, wäre der in den vergangenen Wochen von vielen erhobene Vorwurf berechtigt, dass die Kirche eine bloß theoretische Aussage ohne reale Konsequenzen macht. Dem Heiligen Vater liegt es außerordentlich am Herzen, dass die Kirche ein Beispiel großer Transparenz gibt und alles meidet, was als Doppeldeutigkeit oder Mangel an Klarheit interpretiert werden könnte. Dies ist wichtig nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Kirche, sondern auch für die Bildung der Gewissen.Der vom Papst in seinem Schreiben vom 3. Juni 1999 geforderte Zusatz bildet nicht nur einen kraftvollen moralischen Aufruf an die Frau, an den Arzt und an die Gesellschaft, den Schein nicht zur straffreien Abtreibung zu gebrauchen. Die Intention des Papstes ist auch darauf gerichtet zu bewirken, dass der Schein nicht mehr geeignet ist, den Zugang zur Abtreibung nach StGB § 218 a (1) zu eröffnen. Es ist nicht zu sehen, wie die Kirche in der Beratung nach §§ 5 ff. des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes vom 21. August 1995 bleiben kann, falls die staatlichen Stellen den genannten Zusatz faktisch ignorieren. In der gegenwärtigen Situation liegt es entsprechend den Weisungen des Heiligen Vaters in der Kompetenz der deutschen Bischöfe zu entscheiden, wie sie die Beratungstätigkeit fortsetzen. Der Schein, der zukünftig von den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen im Rahmen des "Beratungs- und Hilfeplans" ausgehändigt wird, darf nach dem Schreiben des Heiligen Vaters vom 3. Juni 1999 einzig und allein als Dokumentation der Ausrichtung der kirchlichen Beratung auf das Leben und als Garantie für die Gewähr der versprochenen Hilfeleistungen dienen. So hieß es im offiziellen Kommentar zum oben erwähnten Papstschreiben: "Infolge dieses Zusatzes handelt es sich dann wirklich um einen Schein anderer Art, dessen Funktion allein darin besteht, die kirchliche Beratung zu bestätigen und ein Anrecht auf die zugesagten Hilfen zu geben" (Nr. 3). Die von Euch und von zahlreichen Fachleuten in Deutschland unternommenen Bemühungen, die Frage im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl zu vertiefen, sind anzuerkennen. Diese Bemühungen waren auch vom großherzigem Willen geleitet, die größtmögliche Zahl von schwangeren Frauen in Not zu erreichen, besonders jene, die schon mehr zur Abtreibung neigen und deren ungeborenes Kind deshalb in größerer Gefahr ist. In einem Unterscheidungsprozess in einer so delikaten Frage und in einer Situation, die faktisch und rechtlich überaus komplex ist, mag es nicht überraschen, dass trotz der allen gemeinsamen klaren Grundüberzeugung nicht in kurzer Zeit und ohne Ungewissheiten ein klarer und endgültiger Abschluss erreicht werden konnte. Der lange Weg des gemeinsamen Suchens war aber nicht umsonst, sondern hat dazu beigetragen, die verschiedenen Aspekte der Frage besser hervorzuheben und eine klare Lösung zu finden, die auf dem Fundament der Wahrheit und der Liebe aufbaut. Die beiden unterzeichneten Kardinäle bitten Hirten und Gläubige, auf polemische Äußerungen zu verzichten und das ungeborene Leben mit ganzer Kraft zu schützen und zu verteidigen. Alle Glieder der katholischen Kirche sind einmütig davon überzeugt, dass die Abtreibung in keinem Fall eine Lösung ist, sondern - wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil heißt - ein verabscheuungswürdiges Verbrechen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 51), nämlich die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen, wehrlosen Menschen.Am Vorabend der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz bittet Euch der Heilige Vater inständig, auch in seiner Verantwortung als Hirte der ganzen Kirche, die Entscheidung gemäß den genannten Vorgaben einmütig zu treffen, denn die Einheit des Episkopats ist von grundlegender Bedeutung für eine wirksame Verkündigung des Evangeliums in der Gesellschaft. Der Heilige Vater hat uns beauftragt, diesen Brief Ihnen, hochwürdigster Herr Bischof, und durch Sie als den Vorsitzenden Euch, den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz, zukommen zu lassen. Euch allen möchte er erneut sein schon oft zum Ausdruck gebrachtes Vertrauen, seine Wertschätzung und sein Wohlwollen bekunden. Verbunden in der Sorge um die Kirche und die Menschen in Deutschland, verbleiben wir mit den besten Grüßen

im Herrn Eure

+ Joseph Kard. Ratzinger
Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre

+ Angelo Kard. Sodano
Staatsekretär Seiner Heiligkeit

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