| Pressemeldung

Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften in Einrichtungen der Katholischen Kirche 1939 - 1945

Presseerklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Prof. Dr. Dr. Karl Lehmann

I. Einleitung
Nach fünf Jahrzehnten, während deren das Thema in Forschung, Politik und Medien kaum Aufmerksamkeit gefunden hat, ist die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in Deutschland zu einem Gegenstand der öffentlichen Diskussion geworden. Auf Grund verschiedener Hinweise, dass auch in Einrichtungen der Katholischen Kirche während der NS-Zeit Ausländer als Zwangsarbeiter tätig waren, wurden zunächst punktuelle Nachforschungen und eine Prüfung der zeitgeschichtlichen Forschung durchgeführt. Unter dem Eindruck der wenigen Ergebnisse, die dabei zutage traten, sah der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz, der sich am 2. Mai und 19./20. Juni 2000 hiermit befasste, zunächst keinen Anlass zu einer neuen Initiative, die über die bisherigen kirchlichen Wiedergutmachungsleistungen für KZ-Opfer und andere NS-geschädigte Personen hinausgingen. Im Fortgang der öffentlichen Diskussion ist die Zwangsarbeiterproblematik - über die Initiative der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft hinaus - inzwischen aber zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung geworden. In verschiedenen Bereichen sind die historischen Nachforschungen intensiviert und Maßnahmen der Wiedergutmachung eingeleitet worden. Vor diesem Hintergrund ist die erste Reaktion der Deutschen Bischofskonferenz in der Öffentlichkeit mancher Kritik ausgesetzt gewesen. Zugleich wurde vielfach der Erwartung Ausdruck gegeben, dass die Katholische Kirche ihre Mitwirkung an der Beschäftigung von Zwangsarbeitern öffentlich eingestehen und - wie die EKD und das Diakonische Werk - durch eine Einzahlung in die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ihrer Mitverantwortung gerecht werden sollte.
Mit dieser im Raum stehenden Anfrage hat sich der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz nach gründlicher Vorbereitung in seiner gestrigen Sitzung ausführlich befasst. Dies geschah auf der Grundlage eines umfassenden Berichts über den Fortgang der Bemühungen um eine möglichst umfassende Aufklärung in den verschiedenen Bereichen des kirchlichen Lebens (Diözesen, Deutscher Caritasverband, Ordensgemeinschaften usw.). Nun möchte ich nach den intensiven Beratungen diese Informationen auch der Öffentlichkeit vorstellen und darüber berichten, wie wir gegenwärtig in dieser Angelegenheit weiter vorgehen wollen.
Als Experten für den Zwischenbericht über die bisherigen Nachforschungen habe ich den Direktor der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn, Dr. Karl-Joseph Hummel, und den Generalsekretär der Vereinigung der Deutschen Ordensobern (VDO), Pater Wolfgang Schumacher O.Carm., eingeladen. Beide Herren werden meinen Bericht durch die Vorstellung einiger Einzelfälle ergänzen, an denen die Vielschichtigkeit der historischen Realität unmittelbar einsichtig wird. Sie stehen auch für andere Fragen der historischen Dimension zur Verfügung.
II. Zum Stand der bisherigen Untersuchungen
"Ausländer-Einsatz" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte im nationalsozialistischen Deutschland war ein wesentlicher Teil der wirtschaftlichen und sozialen Realität der Jahre 1939 bis 1945. Der millionenfache Einsatz dieser Arbeiterinnen und Arbeiter im Deutschen Reich wurde durch den in den Kriegsjahren zunehmend stärkeren Arbeitskräftemangel trotz erheblicher ideologischer und sicherheitspolizeilicher Bedenken unausweichlich. 1944 war ca. jeder vierte Beschäftigte in der deutschen Wirtschaft Ausländer. Insgesamt 7,6 Millionen ausländische Arbeitskräfte - 1,9 Mio. Kriegsgefangene und 5,7 Mio. zivile Arbeitskräfte - waren im August 1944 zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Die ausländischen Arbeitskräfte stellten 1944 fast die Hälfte aller in der Landwirtschaft Beschäftigten und je nach Industriezweig zwischen 30 und 50% der Beschäftigten. Im übrigen darf auch hier die hohe Zahl zwangsverpflichteter Deutscher, vor allem auch Frauen, nicht ganz vergessen werden.Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in Einrichtungen der Katholischen KircheKriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter waren zwischen 1939 und 1945 auch in Einrichtungen der Katholischen Kirche beschäftigt. Die zeitgeschichtliche Forschung hat sich mit dieser Frage bisher nicht befasst. Die Überlieferung einschlägiger Quellen ist disparat und lückenhaft. Vor dem Hintergrund der bisherigen Recherchen kann man aber feststellen, dass die Katholische Kirche in Deutschland "Zwangsarbeiter" nicht "in großem Umfang" (Monitor), nicht "in großem Stil" (Der Spiegel) und nicht "flächendeckend" (Welt am Sonntag) beschäftigt hat.Die Zahl der in katholischen Einrichtungen beschäftigten Ausländer erreicht - bezogen auf die 7,6 Mio. ausländischen Arbeitskräfte von August 1944 - wahrscheinlich nicht einmal die 1 Promille-Grenze.DefinitionIn der Diskussion über die Entschädigung ehemaliger Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter wird der Begriff "Zwangsarbeiter", der damals nicht im Gebrauch war, für sehr verschiedene Gruppen verwendet, für die ganz unterschiedliche Bedingungen galten:KriegsgefangeneDie Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Dritte Genfer Konvention vom 27. Juli 1929 erlaubten bei Mannschaftsgraden, teilweise auch bei Unteroffizieren, die Beschäftigung gesunder Gefangener zu nicht-militärischen Zwecken.KZ-HäftlingeStrafgefangeneJuden, die vor ihrer Deportation in die östlichen Ghettos oder Vernichtungslager Zwangsarbeit im Reich leisten mussten oder als KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.Die zunächst freiwilligen, zunehmend aber unter Druck und Zwang rekrutierten ausländischen Zivilarbeiter im Deutschen Reich.Diese Zivilarbeiter aus insgesamt 26 Ländern arbeiteten unter sehr unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen. In einer Grobeinteilung sind in jedem Fall zu unterscheiden- PolenSeit 8. März 1940 galten die unter Federführung des Reichssicherheitshauptamts formulierten "Polenerlasse", die z. B. eine Kennzeichnungspflicht "P", die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, das Verbot, gemeinsam mit Deutschen öffentliche, kulturelle und kirchliche Veranstaltungen zu besuchen und die Todesstrafe bei "Rassenschande" vorsahen.- OstarbeiterAb 2. Februar 1942 galten die "Ostarbeitererlasse", die in ihren diskriminierenden Einschränkungen weit über die Polenerlasse hinausgingen (Unterbringung in Lagern, Bewachung, Verbot seelsorglicher Betreuung, minderwertige Verpflegung ["Russennahrung"] und geringere Entlohnung).- Zivile Fremdarbeiter aus Ländern, mit denen besondere Vereinbarungen bestanden, z. B. Italien, Kroatien, Slowakei, Ungarn.- Andere westeuropäische FremdarbeiterDie Hierarchie der Fremdarbeiter - zunächst die Fremdarbeiter aus West- und Südeuropa, dann die Arbeitskräfte aus Polen und schließlich am Ende die Ostarbeiter - entsprach der nationalsozialistischen Ideologie; die rechtlichen Bestimmungen, die daraus abgeleitet wurden, veränderten sich aber laufend entsprechend der Kriegslage. Insofern ist vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen jeder Einzelfall gesondert und nach den jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Vorschriften zu prüfen.Zwischenbilanz der kirchlichen Untersuchunga) QuellensucheIn den deutschen Diözesen wurden vereinzelt schon früh, spätestens jedoch seit Mitte Juli weitverzweigte Recherchen begonnen. Mit Rundschreiben sowie über Veröffentlichungen in Amtsblättern, Kirchenzeitungen und im Internet wurden Hinweise auf Zeitzeugen und Quellen erbeten. In einer Reihe von Diözesen wurden koordinierende Expertengruppen eingesetzt, in denen zum Teil auch Wissenschaftler und Vertreter aus kommunalen und staatlichen Archiven mitarbeiteten und auch künftig mitarbeiten werden.Die bisherigen Erkenntnisse sind das Resultat dieser intensiven Suche der letzten Wochen auf Diözesanebene, in Pfarreien, in Ordensarchiven oder in Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes. Gleichzeitig wurde damit begonnen, die einschlägigen Quellenüberlieferungen in kommunalen und staatlichen Archiven und bei Sozialversicherungsträgern zu erschließen, sowie Zeitzeugen zu befragen.Zentrale Quellenüberlieferungen sind nicht mehr vorhanden.Viele, im Einzelfall sehr aussagekräftige lokale oder diözesane Quellen sind anderswo freilich nie vorhanden gewesen oder durch Kriegseinwirkung bzw. später vernichtet worden. Ein annähernd zutreffendes Gesamtbild wird deshalb aus sehr verschiedenen Einzelperspektiven zusammengesetzt werden müssen und erfordert eine längerfristig angelegte wissenschaftliche Untersuchung.b) Bisherige ErgebnisseHerkunftDie zivilen Fremdarbeiter in katholischen Einrichtungen waren hauptsächlich Polen und Ostarbeiter, außerdem arbeiteten dort östliche und westliche Kriegsgefangene - vor allem Franzosen. Zugeteilte KZ-Häftlinge, Strafgefangene und jüdische Zwangsarbeiter sind bisher nicht nachweisbar. Unter den im klösterlichen Bereich tätig gewordenen ausländischen Personen befinden sich nach derzeitiger Einschätzung auch keine "Zwangsarbeiter", die unter gefängnisähnlichen Bedingungen bzw. unter Waffengewalt zur Arbeit gezwungen wurden. Solche Beispiele gibt es lediglich in konfiszierten Klöstern, die zur Unterbringung von Kriegsgefangenen dienten und zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter kirchlicher Verantwortung standen (vgl. unten zu den Rechts- und Eigentumsverhältnissen).Zum Teil handelte es sich auch in den Kriegsjahren um freiwillige Arbeitskräfte - z.B. aus Frankreich - oder um Saisonarbeiter aus Osteuropa, die im Einzelfall sogar ihre Familien, Nachbarn und Freunde nachholten, da sie im Reich trotz der schwierigen Situation z.T. unter besseren Bedingungen leben konnten als in ihrer Heimat. Ehemalige Kriegsgefangene haben nach ihrer Entlassung auch freiwillig - z. B. in einem Klosterbetrieb - im Reich weitergearbeitet und sind nicht unmittelbar in ihre Heimat zurückgekehrt.Beschäftigungsorte und BeschäftigungsartDie bisher ausgewerteten Quellen weisen auf die Beschäftigung von Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern als Hilfen in Küche und Haushalt sowie im Pflegedienst in katholischen Krankenhäusern, in Landwirtschaft und Forsten, in der Gärtnerei oder z. B. auf Friedhöfen hin. In Einzelfällen wurden fremde Arbeitskräfte auch zu Reparaturarbeiten nach Bombenangriffen, zur Schuttbeseitigung usw. eingesetzt. Belege, dass kirchliche Einrichtungen diese Arbeiterinnen und Arbeiter beim zuständigen Arbeitsamt angefordert hätten, sind bisher nicht bekannt.BeschäftigungsdauerDie Verweildauer ausländischer Arbeitskräfte in katholischen Einrichtungen ist sehr unterschiedlich. Zum Teil wurden Arbeitskräfte nur saisonal benötigt (Erntehelfer). Die Verweildauer dieser Arbeiterinnen und Arbeiter reicht von wenigen Tagen oder Wochen bis zu einigen Monaten. Andere arbeiteten bis zu mehreren Jahren - z. B. bis Kriegsende und darüber hinaus - in der gleichen Einrichtung.Rechts- und Eigentumsverhältnisse der EinrichtungenFür die Zurechnung eines ausländischen Arbeiters zu einer katholischen Einrichtung - insbesondere z.B. zu einem Kloster - spielt die Frage nach den Rechts- und Eigentumsverhältnissen eine wichtige Rolle. Es muss deshalb in jedem Einzelfall zunächst festgestellt werden, wer zu welchem Zeitpunkt in einer Einrichtung die Entscheidungsbefugnis innehatte. Der Inhaber der Entscheidungsbefugnis ist nicht gleichzusetzen mit dem Besitzer, auch umgekehrt nicht. Dies ist für die Auswertung der Quellen und Akten von fundamentaler Bedeutung.Von 1939 bis zum 1. Mai 1944 waren insgesamt 3.470 katholische Einrichtungen - 1.867 kirchliche Einrichtungen und 1.603 Klöster - für andere Zwecke (Lazarette, Hilfskrankenhäuser, Umsiedlerlager, Unterkunft für Rüstungsarbeiter, Kinderlandverschickung usw.) "in Anspruch genommen", d. h. enteignet, beschlagnahmt, teilbeschlagnahmt. Zuständig war dann die Wehrmacht, die Polizei, das Landratsamt, das Gesundheitsamt oder die Volksdeutsche Mittelstelle, die dem Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums und zuletzt dem Reichsführer SS zugeordnet war.Die zwangsenteigneten/beschlagnahmten/teilbeschlagnahmten Klöster - allein im sogenannten "Klostersturm" April/Mai 1941 mehr als 120 - und deren Betriebe wurden in staatlicher und/oder militärischer Regie durch Fremdarbeiter und durch dienstverpflichtete deutsche Arbeitskräfte weiter betrieben, zu denen in einzelnen Fällen auch z.B. die Schwestern in ihrem ehemaligen Krankenhaus oder Kindergarten gehören konnten.Von den 16.596 Angehörigen männlicher Orden (31. Oktober 1938) waren bis zum 1. Mai 1944 fast 50% (8.271) im Kriegseinsatz. Von den 101.125 Schwestern und Novizinnen in weiblichen Orden waren 69% (69.862) als Pflegepersonal in Wehrmachtslazaretten oder in der Gesundheitsfürsorge in der Heimat eingesetzt. Die enteigneten klösterlichen Betriebe wurden teilweise geschlossen, teilweise mussten sie jedoch zur Versorgung der einquartierten Menschen oder der benachbarten Bevölkerung weiter betrieben werden. In diesen Fällen wurden von den Behörden dann an Stelle der Patres/Brüder und Schwestern oder zusätzlich zu den nicht für den Kriegseinsatz Verwendeten fremde Arbeitskräfte eingesetzt.In einer ähnlichen Situation befanden sich die 4.776 caritativen Wohlfahrtseinrichtungen im Altreich (1944).Arbeitsbedingungen, Entlohnung, persönliche BehandlungSoweit die fremden Arbeitskräfte von einer katholischen Einrichtung beschäftigt waren - z. B. von einem Kloster - wurden sie in den meisten Fällen ordnungsgemäß nach Tarif entlohnt wie vergleichbare deutsche Arbeitskräfte und erhielten Kost und Unterkunft (Beleg über Lohnlisten, abgeführte Sozialabgaben etc.). Fälle von Ausbeutung oder zwangsweise zu leistender Schwer- oder Schwerstarbeit sind bisher nicht belegt.Aus dem Beschwerdebriefwechsel Kardinal Bertrams mit dem Reichskirchenministerium, aber auch aus der Gegenüberlieferung der Geheimdienstberichte des Sicherheitsdienstes (SD) "Meldungen aus dem Reich", ergibt sich, dass die Behandlung der Fremdarbeiter in katholischen Einrichtungen bei den damaligen staatlichen Stellen auf scharfe Kritik stieß. Aus der Sicht des Regimes bedeutete die menschliche Achtung eines polnischen Katholiken als Glaubensbruder eine nicht akzeptable volkspolitische Gefahr, weil dadurch die gewünschten rassenideologischen Grenzen verwischt und überschritten wurden.Der aufsehenerregende Menschenrechts-Hirtenbrief des deutschen Episkopats vom 19. August 1943 trat unmissverständlich für diejenigen ein, "die sich am wenigsten selber helfen können: ... für die schuldlosen Menschen, die nicht unseres Volkes und Blutes sind, für die Ausgesiedelten, für die Gefangenen oder fremdstämmigen Arbeiter, für deren Recht auf menschenwürdige Behandlung und auf sittliche wie religiöse Betreuung."Es gibt auch Beispiele, dass sich Zwangsarbeiter ihrerseits mit Ordensleuten solidarisierten, als deren Kloster beschlagnahmt wurde. Freundschaftliche Kontakte ehemaliger Zwangsarbeiter zu "ihrem" Kloster über 1945 hinaus sind keine Seltenheit. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" enthaltene generelle Einschätzung "Sklaven- und Zwangsarbeit bedeutete nicht nur das Vorenthalten des gerechten Lohnes. Sie bedeutete Verschleppung, Entrechtung, die brutale Missachtung der Menschenwürde. Oft war sie planvoll darauf angelegt, die Menschen durch Arbeit zu vernichten." trifft die Situation der Fremdarbeiter in katholischen Einrichtungen keineswegs. SeelsorgeZu einem vollständigen Bild des Verhältnisses der Katholischen Kirche zu den Fremdarbeitern während des Zweiten Weltkrieges gehört auch die seelsorgliche Betreuung. Die besondere Aufmerksamkeit für die Seelsorge an Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern ist quellenmäßig sehr gut belegt. In diesem Zusammenhang muss auch an die von Kardinal Suhard (Paris) und vatikanischen Stellen organisierten und unterstützten Bemühungen der französischen Katholischen Aktion und der Katholischen Aktion aus den Niederlanden (Miarka-Bewegung) erinnert werden. Allein unter den 700.000 französischen Arbeitern, die auf 22.000 Lager verteilt waren, lebten in 400 deutschen Städten während des Krieges 300 französische Geheimpriester (Arbeiterpriester) und 10.000 französische Laien der Katholischen Aktion. In der Dokumentation "Priester unter Hitlers Terror" (von Hehl/Kösters, 4. Aufl. 1998) ist nachgewiesen, dass 547 deutsche Priester in 977 Fällen mit dem Regime wegen Ausländerseelsorge in Konflikt geraten sind. Die gegen diese Seelsorger ergriffenen Maßnahmen reichten von Verhören über Ausweisung, teilweise hohe Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen und Einweisung in ein Konzentrationslager. 46 deutsche Priester (11% aller KZ-Fälle!) sind u. a. mit dem Vorwurf der Ausländerseelsorge ins KZ eingeliefert worden, 11 davon sind im Konzentrationslager umgekommen.Die Regierungsstellen in Berlin haben in diesem Bereich nachdrücklich immer wieder besonders scharfe Strafen eingefordert, z.T. auch Geldstrafen (vgl. als Beispiel den späteren Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen, der 10.000 Reichsmark Strafe bezahlen musste).
III. Zum weiteren Vorgehen
Wie eingangs bemerkt, hat sich der Ständige Rat vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion und auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungsergebnisse mit der Frage befasst, welche Konsequenzen jetzt zu ziehen und welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
1. Information und Forschung
Eine erste Entscheidung des Ständigen Rats betrifft die weitere Aufarbeitung der Quellen und die wissenschaftliche Forschung. Wir haben uns dafür ausgesprochen, diese Arbeit auf der Ebene der einzelnen Diözese unter Einbeziehung aller infrage kommenden kirchlichen Träger und Einrichtungen (Diözese, Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Caritasverband, Stiftungen etc.) durchzuführen, um eine möglichst genaue örtliche und regionale Erfassung sicherzustellen. Dabei werden nicht nur kirchliche Archive und Dokumentationen, sondern auch kommunale und staatliche Archive sowie andere Datenbestände einbezogen. Die Bemühungen auf der diözesanen Ebene sollen, wie bisher, von Begleitmaßnahmen und sachlichen Absprachen der überregionalen Institute (Deutscher Caritasverband, Vereinigung der Ordensoberinnen [VOD], Vereinigung der Deutschen Ordensobern [VDO], Bundeskonferenz der kirchlichen Archive) unterstützt werden. Die Kommission für Zeitgeschichte in Bonn, die in der Vergangenheit bedeutende Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Diktatur und Rolle der Kirche in dieser Zeit vorgelegt hat, wird eine übergreifende wissenschaftliche Dokumentation der Quellenmaterialien vornehmen und publizieren. In einzelnen Diözesen sind auch gesonderte Veröffentlichungen geplant.
2. Frage einer Beteiligung an der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
In einer ausführlichen Diskussion, bei der aber - wie gewöhnlich in dieser Sommersitzung des Ständigen Rats - mehrere Diözesanbischöfe nicht anwesend waren, haben wir die Frage einer Beteiligung an der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" erörtert. Dabei haben wir noch einmal die in den vergangenen Wochen schon geäußerte Auffassung bestätigt, dass die Katholische Kirche - vor dem Hintergrund der historischen Tatsachen - schlecht beraten wäre, auch nur den Anschein zu erwecken, man wollte oder könnte die begonnene notwendige Auseinandersetzung mit dem, was geschehen ist, durch eine rasche finanzielle Leistung beenden.
Auch die in der öffentlichen Diskussion gelegentlich offen oder indirekt erneuerten Vorstellungen einer "Kollektivschuld" machen wir uns in keiner Form zu eigen, sondern lehnen sie ausdrücklich ab. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Dies bedeutet nicht, dass wir uns der Solidarität unseres Volkes im Tragen und Austragen der Last der Verantwortung entziehen. (In der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz aus Anlass des 50. Jahrestages der November-Pogrome 1938 "Die Last der Geschichte annehmen", 20. Oktober 1988 und bei anderen Gelegenheiten haben wir hierzu klare Worte gesprochen, vgl. z.B. den Text, gemeinsam herausgegeben mit der Berliner und der Österreichischen Bischofskonferenz, Nr. 43 der Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz. Die Liste der Texte kann leicht erweitert werden.)
Die Katholische Kirche bemüht sich seit langem um eine Wiedergutmachung und eine Versöhnung mit den KZ-Opfern und anderen NS-Geschädigten. Das Maximilian-Kolbe-Werk, das 1973 vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken und 13 Verbänden eigens auch für diesen Zweck gegründet wurde und seit 1992 auch ehemaligen KZ-Häftlingen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hilft, hat von 1973 bis 2000 insgesamt 100 Millionen DM hierfür aufgewendet, die weitgehend durch Spenden und Kollekten aufgebracht worden sind. Auch der Deutsche Caritasverband und die 1993 für 27 Länder in Mittel- und Osteuropa gegründete Solidaritätsaktion RENOVABIS leisten im Rahmen ihrer Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Spätfolgen des nationalsozialistischen Unrechts.
3. Wege für die Zukunft: Persönliche Hilfe und verstärkte Versöhnungsarbeit
Für die Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz über eine eventuelle Beteiligung an der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" hat vor allem die Frage eine entscheidende Rolle gespielt, inwieweit damit eine konkrete Hilfe für den Personenkreis erreicht wird, der durch Zwangsarbeit in kirchlichen Einrichtungen unmittelbar oder auch noch in der zweiten Generation geschädigt worden ist. Das Errichtungsgesetz beschränkt die Leistungen der Stiftung "Einnerung, Verantwortung und Zukunft" auf Menschen, die als Häftlinge im KZ oder anderen Lagern zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen oder im öffentlichen Bereich gezwungen wurden. Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen sind damit ausdrücklich nicht erfasst. Mehr noch: Das Gesetz lässt Leistungen an Personen, die nicht im gewerblichen oder öffentlichen Bereich tätig waren, nur im Rahmen einer Kann-Bestimmung zu und soweit damit nicht eine Minderung der für die Hauptgruppe vorgesehenen Beträge verbunden ist. Dieser Befund ist auch auf evangelischer Seite inzwischen als Problem erkannt (vgl. dazu die Pressekonferenz des Präsidenten des Diakonischen Werkes am 18.08.2000).
Der Ständige Rat ist der Auffassung, dass die katholische Kirche in dem jetzt unternommenen Versuch unseres Volkes, die Zwangsarbeiterproblematik umfassend aufzuarbeiten, vorrangig für die berechtigten Erwartungen derjenigen eintreten muss, die als Fremdarbeiter in katholischen Einrichtungen tätig waren. Deshalb haben wir beschlossen, für Leistungen im Blick auf diesen Personenkreis einen Betrag von 5 Mio DM zur Verfügung zu stellen. Angesichts der reichen Erfahrung, die in den katholischen Hilfsorganisationen angesammelt ist, hat der Ständige Rat beschlossen, für die praktische Verwirklichung der Entschädigung von Fremdarbeitern in katholischen Einrichtungen keine neue Institution ins Leben zu rufen. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Herr Prälat H. Puschmann, hat sich auf unsere Bitte hin bereit erklärt, diese Aufgabe mit ihren verschiedenen Teilaspekten zu übernehmen (Bekanntgabe und Suchmaßnahmen in den betreffenden Ländern, Beratungsmaßnahmen, Einzelfallprüfungen, Entschädigungszahlungen und Dokumentation). Damit haben wir eine schon bestehende Einrichtung mit entsprechender Praxis, die darum auch ökonomisch sparsam arbeiten kann, gefunden. Andere Einrichtungen können, wenn nötig, mitberatend tätig werden.
Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat weiterhin beschlossen, über die Einzelfall-Leistungen hinaus in der Versöhnungsarbeit noch einmal eine zusätzliche Initiative zu ergreifen. Auch dies geschieht auf der Grundlage einer bereits traditionsreichen Tätigkeit der zuvor genannten und verschiedener anderer katholischer Organisationen (z.B. Pax Christi, Justitia et Pax, Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Akademien und andere katholische Bildungseinrichtungen, nicht zuletzt auch viele Einzelinitiativen auf diözesaner Ebene). Für die Ergänzung und Intensivierung dieser Maßnahmen wird ein weiterer Betrag von 5 Mio DM zur Verfügung gestellt. Wir wünschen uns, dass die hierdurch ermöglichten Projekte auch in Kooperationsvorhaben über die Grenzen unseres Landes und den Bereich katholischer Träger hinaus realisiert werden können.
Abschließend möchte ich allen danken, die in diesen Sommerwochen auf diözesaner und überdiözesaner Ebene, bei den Ordensgemeinschaften und im wissenschaftlichen Bereich zu den Klärungen beigetragen haben, die uns jetzt eine verantwortliche Entscheidung in Kenntnis der historischen Wirklichkeit ermöglicht.
Notwendige einzelne Klärungen bei der Ausgestaltung dieses Vorhabens werden später beschlossen, evtl. bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 25. bis 28. September in Fulda.
Bonn/Mainz, 29. August 2000

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