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Bericht der Arbeitsgruppe Schwangerschaftskonfliktberatung an die Deutsche Bischofskonferenz

Inhalt
I. Das entschiedene Eintreten der Kirche für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder

II. Regelungsgehalt und Eigenart des Beratungsmodells und Gründe für den Verzicht auf eine Strafandrohung

III. Lösungsmodelle

IV. Zur ethischen Vertretbarkeit der Beratung im Rahmen des Beratungskonzepts

V. Nochmals: die Frage nach der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Zeugnisses

 

I. Das entschiedene Eintreten der Kirche für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder
Papst Johannes Paul II. hat in seinem an die deutschen Bischöfe gerichteten Schreiben vom 11. Januar 1998 [Vgl. Acta Apostolicae Sedis XC (1998) 601 - 607] die Notwendigkeit eines klaren und entschiedenen Zeugnisses der Kirche in ihrem Eintreten für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder besonders hervorgehoben. Dies muß in der Tat der Ausgangspunkt aller Überlegungen im Blick auf die Lehre und das Handeln der Kirche sein, einschließlich der Art und Weise der Beratung in Not geratener Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt. Hier, wo es um das Leben, das höchste irdische Gut unter den Menschen geht, über das nur Gott als Schöpfer und Herr des Lebens befinden kann, muß die Kirche stets um die Reinheit dieses Zeugnisses besorgt sein.
Das Eintreten für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder gehört zu den grundlegenden Überzeugungen der Christen und ist stets von der Kirche gelehrt worden. Dieses Lebensrecht der ungeborenen Kinder besteht von Anfang an und deckt sich mit dem Menschsein des Kindes, das mit der Empfängnis beginnt. Schon der Barnabasbrief formuliert in der Mitte der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts: "Du sollst deinen Nächsten mehr als dich selbst lieben! Du sollst nicht abtreiben, noch ein Neugeborenes wieder beseitigen!" (19,5). Als vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen ist Abtreibung darum ein schweres Unrecht, das niemals sittlich gerechtfertigt werden kann.
[Vgl. Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, "Gaudium et spes", Art. 51; Enzyklika "Evangelium vitae", Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 120, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Bonn 1995, Art. 62; Gemeinsames Hirtenwort der deutschen Bischöfe zur ethischen Beurteilung der Abtreibung: "Menschenwürde und Menschenrechte von allem Anfang an", Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Bonn 1996]

Der Lebensschutz des ungeborenen Kindes steht in der Mitte des christlichen Ethos und ist in vieler Hinsicht ein Kriterium für die Bewährung des Tötungsverbotes. Darum ist es unerläßlich, daß die Kirche in ihrem gesamten Bereich grundlegend gegen die Abtreibung und für das Leben der ungeborenen Kinder eintritt. Dieses Zeugnis muß in der Verkündigung und in der Glaubensunterweisung, in der gottesdienstlichen Feier und im sozial-caritativen Dienst abgelegt werden. Es darf nicht durch Unklarheiten in der öffentlichen Darlegung oder auch in den Strukturen kirchlicher Hilfe bei Schwangerschaftskonflikten zweideutig oder verdunkelt werden.

Nicht weniger als das öffentliche Eintreten für das unverkürzte Lebensrecht der ungeborenen Kinder gehört zum christlichen Zeugnis zugunsten dieses Rechts das praktische Handeln, um möglichst viele ungeborene Kinder zu retten, die in ihrem Lebensrecht durch Abtreibung bedroht sind. [Vgl. Enzyklika "Evangelium vitae", a.a.O., Art. 44 f, 58 ff, 68 ff] Hier darf keine Anstrengung zu groß sein. Erst durch Wort und Tat wird christliches Zeugnis einleuchtend und glaubwürdig. Es ist gerade auf das Handeln für den bedrohten Anderen angelegt, die Hilfe für Arme und Schwache und für die, die unter die Räuber gefallen sind (vgl. Lk 10, 30. 36).

Die schwangere Frau und besonders das ungeborene Kind brauchen hier einen besonderen Schutz. Darum hat die Kirche schwangeren Frauen in Not und ihren ungeborenen und geborenen Kindern immer wieder konkrete Hilfe angeboten. Der Heilige Vater unterstützt ausdrücklich die deutschen Bischöfe in seinem Brief vom 11. Januar 1998 in ihrem Bestreben, "daß die katholischen Beratungsstellen in der Schwangerenberatung öffentlich präsent bleiben, um durch eine zielorientierte Beratung viele ungeborene Kinder vor der Tötung zu retten und den Frauen in schwierigen Lebenssituationen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite zu stehen." (Nr. 6) Deshalb unterstreicht der Papst auch das Anliegen, "daß die Kirche in dieser Frage - um der ungeborenen Kinder willen - die vom Staat eröffneten Spielräume zugunsten des Lebens und der Beratung so weit wie möglich nützen muß und nicht die Verantwortung auf sich nehmen kann, mögliche Hilfeleistungen unterlassen zu haben" (ebd.). Um der Rettung der Kinder willen soll also die Beratung kraftvoll und wirksam weitergeführt werden. Allerdings soll dies in einer Art und Weise geschehen, daß dadurch hinsichtlich der Klarheit des Zeugnisses der Kirche keine Zweideutigkeit aufkommt. Eine solche Zweideutigkeit sieht der Heilige Vater in der Ausstellung des gesetzlich geforderten Beratungsscheins in der jetzigen Form und möchte darum die Bischöfe "eindringlich bitten, Wege zu finden, daß ein Schein solcher Art in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen nicht mehr ausgestellt wird." (Nr. 7) Zugleich ersucht Papst Johannes Paul II. die Bischöfe, "dies auf jeden Fall so zu tun, daß die Kirche auf wirksame Weise in der Beratung der hilfesuchenden Frauen präsent bleibt" (ebd.).

Das Zeugnis der Kirche für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder muß in seinen beiden Gestalten und Richtungen, nämlich in Wort und Tat, Verkündigung und rettender Hilfe, unter den Bedingungen einer zwar erlösten, aber stets anfälligen und vom Bösen bedrohten Welt und in eine bestimmte Gesellschaft hinein gegeben werden. Diese Bedingungen sind von der Kirche nicht geschaffen worden und von ihr auch nicht zu verantworten, die Kirche kann allerdings über sie auch nicht hinwegsehen und sich nicht völlig aus ihnen herauslösen, wenn sie ihr Zeugnis ernsthaft in dieser Welt geben will und soll. Bei diesen Bedingungen geht es nicht nur um die heutige pluralistische Gesellschaft, in der die Überzeugung vom unbedingten Lebensrecht der ungeborenen Kinder keineswegs mehr Allgemeingut, sondern fortschreitend im Schwinden begriffen ist. Es geht um die bleibende Widerständigkeit, die aus der Sündigkeit der Menschen und der Gesellschaft hervorgeht. Dies führt dazu, daß das christliche Zeugnis immer wieder mit widerstrebenden Mächten konfrontiert ist, denen gegenüber es sich zur Geltung zu bringen sucht, sich jedoch oft nur zum Teil durchzusetzen vermag. Auch der erlöste Mensch und die erlöste Welt stehen, theologisch betrachtet, in der sogenannten Konkupiszenz, d.h. sie sind von Versuchlichkeit und Anfälligkeit, von einem Hang zur Einwilligung in Strukturen geprägt, die vor der persönlichen Entscheidung liegen und mit vorpersonalen Antrieben sowie der Triebstruktur des Menschen zusammenhängen. Es ist daher den Menschen wie auch der Kirche nicht vergönnt, eigene Wertentscheidungen, die gegen die aus Konkupiszenz und Sündigkeit herrührenden Tendenzen getroffen werden, voll und adäquat in Gesellschaft und Staat durchzusetzen. Deshalb gibt es hier eine unaufhörliche Auseinandersetzung und einen beständigen Kampf zugunsten von Menschenwürde und Lebensrecht.

Die daraus für das christliche Zeugnis resultierenden Schwierigkeiten zeigen sich in mehrfacher Hinsicht. Das kompromißlose Eintreten der Kirche für das ungeborene Leben stößt in der heutigen Gesellschaft vielfach auf Ablehnung und Unverständnis. Selbst viele, die davon ausgehen, daß Abtreibung an sich nicht sein darf, vertreten die Auffassung, sie sei in einzelnen Situationen unvermeidlich. Diese Einstellung führt dazu, daß oft zwar mit großen Worten an der Würde und am Wert des Lebens des ungeborenen Kindes festgehalten wird, ihm im konkreten Fall aber andere Gesichtspunkte und Interessen vorgeordnet werden, etwa eine materielle oder seelische Notlage oder auch ein falsch verstandenes Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wenn die Kirche hier mit ihrer Botschaft und ihrer Lehre Gehör finden will, wenn sie die reale Chance haben will, bei den einzelnen Menschen und in der Gesellschaft etwas zu bewegen oder noch vorhandene Einstellungen zu stärken, setzt dies voraus, daß ihr lehrmäßiges Eintreten für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder durch ihr praktisches Engagement, diese Kinder vor drohenden Abtreibungen zu bewahren, in seiner Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft gestärkt wird. Nichts ist für ein christliches Zeugnis, zumal in der heutigen eher gottfernen Welt, so wichtig wie die Entsprechung von Wort und Tat, das glaubwürdige sichtbare Handeln im Sinne des Anspruchs der eigenen Botschaft.

Eine "Zweideutigkeit" des geforderten Zeugnisses, die dessen Klarheit und Glaubwürdigkeit beeinträchtigt oder gar aufzuheben droht, könnte deshalb nicht nur durch einen Nachweis im Zusammenhang mit der kirchlichen Beratung schwangerer Frauen in Not eintreten, wenn dieser den Anschein einer Erlaubnis zur Abtreibung hervorruft, sondern ebenso dadurch, daß sich die Kirche einer nach dem Gesetz vorgesehenen Beratung in Schwangerschaftskonflikten entzieht, mit der sie unentschiedene oder abtreibungsbereite Frauen tatsächlich erreicht und für das Weiterleben ihres Kindes gewinnen kann und in beträchtlichem Maße auch gewinnt. Die Bedingungen, unter denen eine solche effektive Arbeit zur Rettung eines ungeborenen Kindes geleistet werden kann, sind von der Kirche nicht von sich aus änderbar; sie können in der Tat ein gefährliches, teilweise geradezu kontaminiertes, zu Unrecht und Sünde verleitendes Gelände darstellen. Es ist aber doch fraglich, ob man deshalb, weil man ein solches gefährliches Gelände gar nicht begehen möchte, um von vornherein eventuelle Mißdeutungen, denen man ausgesetzt ist, zu vermeiden, auf einen möglichen Rettungseinsatz überhaupt verzichten darf. Es bleibt die beunruhigende Frage, ob ein solcher Einsatz, der eine reale Erfolgschance - wenn auch keine Erfolgsgewißheit - hat, unterbleiben darf, wenn er wirklich möglich ist. Gehört es nicht zum christlichen Zeugnis, die Entscheidung gegen eine "Kultur des Todes" und für eine "Kultur des Lebens" auch dort zu praktizieren, wo die Gefahr der Tötung immer wieder droht, aber auch mit Erfolg abgewendet werden kann?

Hier muß man - so verstehen wir die Bitte des Heiligen Vaters - einen überzeugenden Weg finden. Es muß deutlich werden, daß die Kirche das gefährliche und teilweise kontaminierte Gelände, auf dem sie sich dabei bewegt, nicht als ihren eigenen Boden ansieht. Vielleicht kann hier ein Bild weiterhelfen: Die Kirche erscheint wie ein Rettungssanitäter mit der Rot-Kreuz-Binde um den Arm, d.h. sie kennzeichnet durch die Binde, daß sie aus eigenem Auftrag handelt, und sie zeigt zugleich an, daß sie auf dem vorgegebenen Gelände, das Spuren menschlichen Versagens zeigt, nicht zu Hause ist, aber in ihm tätig werden muß, wenn sie helfen und retten will.

Diese Überlegungen zum Eintreten der Kirche für das Leben des ungeborenen Kindes gelten grundsätzlich und überall. Ihre Beachtung ist in vielen Situationen noch dringlicher geworden. Darum ist es heute besonders notwendig zu fragen, wie das Zeugnis der Kirche noch besser und unmißverständlicher zur Geltung gebracht werden kann.

II. Regelungsgehalt und Eigenart des Beratungsmodells und Gründe für den Verzicht auf eine Strafandrohung
Wie das gebotene unzweideutige Zeugnis der Kirche für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder in Deutschland angemessen zu verwirklichen ist, kann nicht unabhängig von der gegebenen rechtlichen Lage beurteilt werden. Im Blick auf die kirchlich getragene Beratung in Schwangerschaftskonflikten kommt es insoweit auf die Regelungen für die Frühphase der Schwangerschaft an, nicht auf die für die Zeit danach geltenden, völlig ausgeuferten Indikationsregelungen, die in ihrer das ungeborene Leben preisgebenden Tendenz kaum zu überbieten sind und deshalb allein schon rechtspolitischen Handlungsbedarf im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht konstatierten gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht indizieren.
Die gesetzliche Regelung des Jahres 1976, die bis 1993 galt, ging von einer Indikationenregelung aus. Danach war grundsätzlich jeder Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig und strafbar; Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit waren jedoch ausgeschlossen, wenn ein von einem Arzt festgestellter Indikationstatbestand vorlag. Das führte zu dem verbreiteten Mißverständnis, eine Abtreibung sei bei Vorliegen einer Indikation ethisch gerechtfertigt. Dagegen hat die Kirche ausdrücklich protestiert. Als Indikationstatbestände waren vom Gesetz nicht nur eine vital-medizinische, sondern eine weitgefaßte medizinische sowie die embryopathische, kriminologische und soziale Indikation anerkannt.

Gegenüber diesem Rechtszustand bedeutet das Gesetz von 1995 einen grundlegenden Wechsel des Konzepts: Für die Frühphase der Schwangerschaft tritt an die Stelle einer Strafdrohung vor allem gegenüber dem abtreibenden Arzt eine Pflichtberatung der Frau als Weg und Mittel des Lebensschutzes für das ungeborene Kind. Dieses sog. Beratungskonzept geht von der Prämisse aus, daß zumal in der Frühphase der Schwangerschaft ein wirksamer Schutz des ungeborenen Kindes nicht gegen den Willen der Mutter, sondern nur unter ihrer Mitwirkung erreichbar sei. Es sucht daher das ungeborene Kind im Konfliktfall durch eine präventive, auf den Lebensschutz für das Kind orientierte Beratung der Mutter zu schützen, nicht mehr durch eine Strafdrohung gegenüber dem Arzt und teilweise der Mutter.

Diese Änderung des Konzepts stellte einen Paradigmenwechsel dar. Die Motive dafür waren gewiß unterschiedlich: als emanzipatorisch verstandene mischten sich mit solchen, die auf Lebensschutz bedacht waren. Doch war es nach den wenig ermutigenden Erfahrungen mit der früheren strengen Abtreibungsregelung des § 218 StGB 1871 und mit der Indikationenregelung seit 1976 aus der Sicht des Gesetzgebers eine durchaus vertretbare Erwägung, das Beratungskonzept könne, anstelle des unzureichenden, zu einem vielleicht besseren Schutz des ungeborenen Lebens führen. Denn die unterschiedlichen Formen sowohl eines strengen, wie er bis 1974 galt, wie auch eines durch mehr oder minder weit gefaßte Indikationen aufgelockerten strafrechtlichen Schutzes für das ungeborene Leben auf der normativen Ebene haben - wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1993 festgestellt hat - [Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 88, S. 264 f] nicht zu verhindern vermocht, daß Abtreibung eine Massenerscheinung geblieben ist, [So gab es in Bayern, einem im Blick auf den Lebensschutz eher verläßlichen Land, unter Geltung der Indikationenregelung in den 16 Jahren von 1977 bis 1992 insgesamt 92.685 zur Statistik gemeldete Abtreibungen, was einem Jahresdurchschnitt von annähernd 5.800 Abtreibungen entspricht. Dabei ist noch von einem erheblichen Meldedefizit auszugehen, da etwa in den Jahren 1984 bis 88 in Bayern nachweislich etwas über 50% mehr Abtreibungen gegenüber den Krankenkassen abgerechnet als zur Statistik gemeldet wurden, vgl. dazu R. Beckmann, Abtreibung in der Diskussion, Krefeld 3. Auflage 1998, Seite 152 mit Anmerkung 4] und zwar unabhängig davon, ob die höheren oder niedrigeren Einschätzungen der Abtreibungszahlen eine größere Verläßlichkeit und Wirklichkeitsnähe aufwiesen. Daß die Androhung von Strafen nicht verhindern konnte, daß Abtreibung eine Massenerscheinung geblieben ist, hat mehrere Gründe: Durch liberale Gesetzgebungen in den Nachbarstaaten war es leicht möglich, die strengere Gesetzeslage in Deutschland zu umgehen. Das öffentliche Rechtsbewußtsein stimmte außerdem kaum noch mit der Gesetzeslage überein. Daher wurden illegale Abtreibungen kaum gemeldet und konnten auch nicht strafrechtlich verfolgt werden. Deshalb blieb die meist unterstellte generalpräventive Wirkung der Strafandrohung nahezu völlig aus. Eine weitere, prinzipielle Schwierigkeit lag darin, daß der Staat ein Rechtsgut schützen mußte, von dem er ohne eine Äußerung der Mutter keine Kenntnis erlangen konnte. Zunächst wissen ja nur die schwangere Frau selbst von ihrem Kind und - falls sie sich zwecks Abtreibung an einen Arzt wendet - außer ihr noch der Arzt. Zudem werden Mutter und Arzt (durch die Strafandrohung) zur Geheimhaltung motiviert. Vor diesem Hintergrund mußten an der Wirksamkeit des Lebensschutzes durch repressive Strafandrohung Zweifel aufkommen, versteht man darunter einen effektiven Schutz der ungeborenen Kinder vor ihrer Tötung und nicht nur die Stimmigkeit eines Schutzmodells, das aber die Wirklichkeit gar nicht mehr übergreift. Solche weitgehende Wirkungslosigkeit muß die Kirche, will sie der Ausgangslage für ihren eigenen Einsatz zugunsten des Lebens des ungeborenen Kindes realistisch ins Auge schauen, zur Kenntnis nehmen; sie muß sich, wie Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika "Evangelium vitae" (Nr. 90) schreibt, im Wissen um die Schwierigkeiten der staatlichen Gesetzgebung auf deren mangelnde Effizienz einstellen, ohne darüber in Resignation zu geraten oder ihre eigenen Anstrengungen für einen glaubwürdigen Lebensschutz zurückzunehmen.

Das Beratungskonzept birgt in sich drei Probleme, die zeigen, daß ihm als Schutzinstrument für das ungeborene Leben ebenfalls eine Ambivalenz innewohnt.

Erstens muß die Beratung für die schwangere Frau, die sich in einer Konfliktlage sieht, verpflichtend und inhaltlich eindeutig auf den Schutz für das ungeborene Kind ausgerichtet sein. Dem hat das Gesetz im wesentlichen Rechnung getragen. Es schreibt die Beratung als Pflichtberatung vor und bringt die Pflicht dadurch zur Geltung, daß die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs gerade auch davon abhängig ist, daß die erfolgte Beratung dem Arzt, der die Abtreibung vornehmen soll, durch eine Bescheinigung der Beratungsstelle nachgewiesen wird. Die Orientierung der Beratung auf den Lebensschutz ist - nicht zuletzt aufgrund der Intervention des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil von 1993 - im Gesetz von 1995 in folgender Weise festgelegt (§ 219 Abs. 1 StGB):

"Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat, und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen."

Diese Zielorientierung der Beratung hebt sie über ein bloß unverbindliches Gespräch und eine Anleitung zur Selbstvergewisserung ohne Ziel hinaus. Sie bedarf allerdings der Umsetzung durch die Beratungsstelle. Konkret geschieht das in den Beratungsgesprächen als einer Form personaler Interaktion. Trotz bestehender Dokumentationspflichten bleibt dieser Vollzug von außen her schwer kontrollierbar. Deshalb kommt es entscheidend auf die Grundeinstellung der Beratungsstellen und der einzelnen Beraterinnen zum Lebensschutz für die ungeborenen Kinder an.

Zweitens gehört es zum Wesen des Beratungskonzepts, daß die Entscheidung, so oder anders zu handeln, d. h. für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch, nicht unbedingt in der Beratung selbst und erst recht nicht durch die Beraterin getroffen wird. Sie geschieht vielmehr oft erst nach der Beratung und liegt auf jeden Fall in der Verantwortung der beratenen Frau. Dem entspricht es, daß zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch mindestens drei Tage liegen müssen (vgl. § 218 a Abs. 1 Satz 1 StGB). Dies, aber nicht mehr, meint die zuweilen mißverstandene "Ergebnisoffenheit" der Beratung. Das Beratungskonzept bezieht die Mutter als selbstverantwortlich handelnde Person ein, sucht sie in ihrem Schwangerschaftskonflikt als Subjekt ernstzunehmen und durch Beratung für das ungeborene Kind und seinen Schutz, d. h. die Fortführung der Schwangerschaft zu gewinnen. In diesem Sinne bleibt das Ergebnis offen; das Risiko, daß das Beratungsziel nicht erreicht wird, ist der Beratung, solange sie Beratung bleibt, immanent. Die Verpflichtung auf den Lebensschutz und die Ergebnisoffenheit der Beratung stellen also keine gleichrangigen oder konkurrierenden Bestimmungen dar; vielmehr ist das Beratungsziel ausschließlich durch den Schutzauftrag zugunsten des Kindes definiert, während die Hinnahme einer eventuell davon abweichenden Entscheidung der Frau nur die notwendige, aber in ihrem Inhalt in keiner Weise gebilligte Voraussetzung dafür ist, daß ein Beratungsgespräch überhaupt stattfinden kann.

Drittens gehört zur Logik des Beratungskonzepts als ein notwendiges Element, daß eine ungeachtet der Beratung dennoch vorgenommene, unverändert rechtswidrige Abtreibung straflos bleibt. Es wäre in sich widersprüchlich, einerseits zum Schutz des ungeborenen Kindes auf eine motivierende Beratung der Frau zu setzen, in der diese ihren Konflikt und ihre Gründe für einen möglichen Schwangerschaftsabbruch offenlegt, andererseits der Beratung für das weitere Geschehen jede Bedeutung abzusprechen, weil der Schwangerschaftsabbruch ohnehin strafbewehrt verboten sei. Um überhaupt Kenntnis von der Existenz des Kindes zu erlangen und somit eine Chance für den Schutz des ungeborenen Kindes zu erhalten, bedarf es des im Beratungskonzept zum Ausdruck gekommenen Verzichts auf eine Strafandrohung für einen Schwangerschaftsabbruch nach erfolgter Beratung, um die Schwangere zur Beratung hin innerlich zu öffnen. Die Straflosigkeit ist eine Voraussetzung, damit von der Frau erwartet werden kann, daß sie sich ernsthaft auf die Beratung einstellt und einläßt. Es ist nicht vorstellbar, daß die Frau sich in ihrer intimsten Angelegenheit einer zunächst fremden Person voll öffnet, wenn sie dabei gleichzeitig einer Strafe für sich oder den evtl. abtreibenden Arzt ins Auge sehen soll. Sie bliebe dann, um dem zu entgehen, auf Nicht-Offenbarung ihres Konflikts und das Dunkel der Geheimhaltung angewiesen (vgl. dazu auch IV.).

Nach der Eigenart des Beratungskonzepts besteht deshalb nicht die Möglichkeit, Beratung und Strafe miteinander zu kombinieren. Eine solche Kombination mag theoretisch naheliegen, um ein Gegengewicht zu der Erosion zu schaffen, der die generalpräventive Wirkung der Strafdrohung wegen eines Mangels an Konsens in der Gesellschaft unterlag. Diese Erwägung geht jedoch nicht auf. Die Beratung würde als wirkliche Konfliktberatung zur Farce. Die Frau müßte entweder ihr ganzes Augenmerk darauf richten, daß sie einen der Ausnahmetatbestände (Indikationen) erfüllt, die es bei der Strafbarkeitsregelung des Schwangerschaftsabbruchs gibt, um so straffrei zu bleiben. Oder sie müßte sich, falls eine Indikation nicht in Betracht kommt, der Beratung überhaupt entziehen, um sich nicht späterer Strafverfolgung auszusetzen. Das bedeutet: Wenn man eine zielorientierte Beratung als Weg des präventiven Lebensschutzes für das ungeborene Kind ins Auge faßt, um dadurch Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern oder jedenfalls effektiv einzudämmen, läßt sich die Straflosigkeit dennoch geschehender Abbrüche nicht vermeiden. Das eigentliche Problem der geltenden Beratungsregelung liegt daher nicht im geforderten Beratungsschein, der nur eine Beweisfunktion für die stattgefundene, auf Lebensschutz für das Kind gerichtete Beratung, d.h. den Versuch der Verhinderung der Tötung des ungeborenen Kindes hat; es liegt im Beratungskonzept selbst, das einen Paradigmenwechsel für den Schutz des ungeborenen Lebens zur Grundlage hat. Die Chancen zum Lebensschutz, die in ihm bei sachgerechter Handhabung angelegt sind, sind nicht ohne die innere Sachlogik dieses Konzepts zu haben.

Die gegebene Rechtslage - gesetzliche Pflichtberatung als Weg des Lebensschutzes - schafft für das kirchliche Zeugnis zugunsten des Lebensrechts der ungeborenen Kinder eine spezifische Ausgangslage. In vielen europäischen und nordamerikanischen Ländern gibt es keine Pflichtberatung, einige Länder sehen eine solche zwar vor, aber ohne Nachweispflicht, so daß die Inanspruchnahme der Beratung praktisch nicht kontrolliert wird. Hier besteht ein offenes Feld für die freie Aktivität der Kirche und kirchlicher Träger zugunsten der ungeborenen Kinder. Ganz besonders gilt dies in USA. Nach der Entscheidung des US-Supreme Court ist die Abtreibung als Ausfluß des Rechts auf Privatsphäre (privacy) bis zur Lebensfähigkeit des ungeborenen Kindes (5. bis 6. Schwangerschaftsmonat) freigegeben, der Staat kümmert sich nicht um Beratung oder ähnliches. Alles hängt von Initiativen aus der Gesellschaft ab, die für den Schutz ungeborener Kinder ergriffen werden. Diese müssen offensiv die Frauen im Schwangerschaftskonflikt zu erreichen suchen und sich gegenüber Gegenaktivitäten (z. B. Pro Choice-Bewegung) behaupten.

Die Situation in Deutschland ist insofern anders und positiver zu sehen, als hier der Staat selbst mit der Festlegung einer Pflichtberatung mit Nachweispflicht eine Aktivität zugunsten der ungeborenen Kinder vorsieht und auch - mittels der Beratungsstellen - ins Werk gesetzt hat. Damit ist die Frage des Schwangerschaftsabbruchs nicht allein der Privatsphäre überlassen. Allerdings wird dadurch auch das Feld möglicher Aktivitäten für den Schutz der ungeborenen Kinder zu einem guten Teil bereits durch staatlich-öffentliche Organisation abgedeckt. Neben der gesetzlichen Beratung ein von ihr losgelöstes Beratungssystem aufzubauen, das die Frauen in Konfliktlagen erreicht, ist hier ungleich schwieriger. Rasch erscheint eine freie kirchliche Beratung nur als eine Verdoppelung ohne rechtserhebliche Bedeutung. Die Chance, eine effektive Beratung der Frauen im Schwangerschaftskonflikt außerhalb der gesetzlichen Beratung zu erreichen und so ungeborene Kinder retten zu können, ist daher vom Ansatz her geringer. Sie ist deshalb mit der Situation in anderen Ländern, etwa in den USA und in Italien, nicht vergleichbar. Wir verweisen hier auf die Untersuchungen "Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich", herausgegeben von Professor Dr. Albin Eser und Dr. Hans-Georg Koch, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br. (Band III mit den aktualisierten Daten wird zur Veröffentlichung vorbereitet).

III. Lösungsmodelle
Im folgenden werden einige Modelle vorgestellt und erörtert, wie dem Drängen des Papstes auf Klarheit und Eindeutigkeit des kirchlichen Zeugnisses entsprochen werden könnte.
Aufhebung der Nachweispflicht Ein Weg, der das Problem, Beratungsscheine dieser Art nicht mehr auszustellen, umfassend lösen würde, bestünde darin, daß die Pflichtberatung als solche zwar nicht aufgehoben, aber auf die Nachweispflicht gegenüber dem Arzt verzichtet wird. Beratungsnachweise - welcher Form immer - brauchen dann von einer anerkannten Beratungsstelle nicht mehr ausgestellt zu werden. Zur Bewertung dieses Weges ist folgendes zu sagen: Die Kirche würde sich, um von Schwierigkeiten, die sie bei der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung hat, befreit zu werden, am Abbau der Pflichtberatung als Schutzinstrument für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder beteiligen, ohne aber dafür ein anderes oder gar besseres Schutzinstrument zu erhalten. Das in Deutschland geltende Recht würde damit nämlich im Kern auf eine reine Fristenregelung zurückgenommen. Die Straflosigkeit der Frau bliebe nur formell an die Erfüllung der Beratungspflicht gebunden, in der Sache bestünde sie - mangels Nachweispflicht - unabhängig davon. Insbesondere die Straflosigkeit des Arztes wäre nicht mehr davon abhängig, daß eine Beratung stattgefunden hat. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland hat sich aber - angeregt durch das Bundesverfassungsgericht - dazu entschlossen, einen anderen Weg zu versuchen, u.a. weil viele ausländische Staaten mit der Fristenregelung - auch der mit einer auf Freiwilligkeit beruhenden Beratung verbundenen Fristenregelung - keinen besseren Schutz ungeborener Kinder erreichen konnten. Auch hat die Kirche solche Fristenregelungen, von denen eine etwa in Italien eingeführt worden ist, stets verurteilt und zurückgewiesen. Es kommt hinzu, daß die Äußerungen in der Bundestagsdebatte aus Anlaß des Papstbriefes vom 11. Januar 1998 zwar erwarten lassen, daß eine Entscheidung für eine derartige Fristenregelung mehrheitsfähig wäre. Nach den Kriterien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfGE 88, 203 (270 f, 282 ff] wäre eine solche Regelung allerdings als verfassungswidrig anzusehen, weil ein so zurückgenommenes Beratungskonzept seinen Charakter als hinreichend wirksames Schutzinstrument für das ungeborene menschliche Leben verlieren würde. Es bedarf keiner weiteren Überlegung, daß die Kirche sich an einem solchen Vorhaben nicht beteiligen, geschweige denn eine darauf zielende Gesetzesänderung anregen kann.

Beratung gemäß § 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) Eine Möglichkeit, Beratung zur Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten ohne Ausstellung eines Beratungsnachweises durchzuführen, besteht sodann, wenn die kirchliche Beratungsstelle auf die Pflichtberatung in einer Not- und Konfliktsituation zum Schutz des ungeborenen Lebens nach den §§ 5 und 6 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) verzichtet und ausschließlich nach § 2 SchKG berät . [ § 2 SchKG lautet: "(1) Jede Frau und jeder Mann hat das Recht, sich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Zwecken in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung sowie in allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen von einer hierfür vorgesehenen Beratungsstelle informieren und beraten zu lassen. (2) Der Anspruch auf Beratung umfaßt Informationen über 1. Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung, 2. bestehende familienfördernde Leistungen und Hilfen für Kinder und Familien, einschließlich der besonderen Rechte im Arbeitsleben, 3. Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangerschaft und die Kosten der Entbindung, 4. soziale und wirtschaftliche Hilfen für Schwangere, insbesondere finanzielle Leistungen sowie Hilfen bei der Suche nach Wohnung, Arbeits- oder Ausbildungsplatz oder deren Erhalt, 5. die Hilfsmöglichkeiten für behinderte Menschen und ihre Familien, die vor und nach der Geburt eines in seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit geschädigten Kindes zur Verfügung stehen, 6. die Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs, die physischen und psychischen Folgen eines Abbruchs und die damit verbundenen Risiken, 7. Lösungsmöglichkeiten für psychosoziale Konflikte im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, 8. die rechtlichen und psychologischen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit einer Adoption. Die Schwangere ist darüber hinaus bei der Geltendmachung von Ansprüchen sowie bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit für das Kind und bei der Fortsetzung ihrer Ausbildung zu unterstützen. Auf Wunsch der Schwangeren sind Dritte zur Beratung hinzuzuziehen. (3) Zum Anspruch auf Beratung gehört auch die Nachbetreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch oder nach der Geburt des Kindes." Besonders hinzuweisen ist auf folgenden Umstand: In § 1 Abs. 1 SchKG geht es um Konzepte zur Sexualaufklärung, jeweils abgestimmt auf die verschiedenen Alters- und Personengruppen, zum Zwecke der gesundheitlichen Vorsorge und der Vermeidung und Lösung von Schwangerschaftskonflikten. Nicht unwichtig ist, daß in Abs. 2 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verpflichtet wird, zu den genannten Zwecken die bundeseinheitlichen Aufklärungsmaterialien, in denen Verhütungsmethoden und Verhütungsmittel umfassend dargestellt werden, zu verbreiten.] Die zitierte gesetzliche Regelung hält fest, wer anspruchsberechtigt ist und auf welche Inhalte ein Rechtsanspruch zur Information und Beratung besteht. Nach dieser Rechtsgrundlage ist der Informations- und Beratungsauftrag vor allem zu verstehen als präventives Angebot zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften, als unterstützendes Angebot - besonders in schwierigen Problemlagen - während der Schwangerschaft sowie als entlastendes Angebot nach der Geburt eines Kindes oder auch nach einem Schwangerschaftsabbruch. Die Annahme des Informations- und Beratungsangebotes nach § 2 SchKG ist für die Ratsuchenden freiwillig und nicht verpflichtend vorgeschrieben. Die Beratung muß deshalb auch nicht durch einen Nachweis dokumentiert werden. Bei der Bewertung einer Beratung nach § 2 SchKG sind folgende Gesichtspunkte wichtig: Probleme wegen der Beratungsinhalte
Die Beratung nach § 2 SchKG ist für kirchliche Beratungsstellen in zentralen Punkten problematisch. Dies gilt namentlich für die Informationen über Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung, aber auch für Informationen über die Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs. Die nordrhein-westfälischen Richtlinien für Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zeigen, daß der Druck zunimmt, sogar konkrete Hinweise auf Stellen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu geben (vgl. dazu auch Seite 19f). Es wäre zweifellos denkbar, daß durch Bischöfliche Richtlinien für kirchliche Beratungsstellen die problematischen Bereiche der Beratung nach § 2 SchKG ausgeklammert würden. Da die Beratung nach § 2 SchKG nicht an staatlich anerkannte Beratungsstellen gebunden ist, dürften solche eingrenzenden Bischöflichen Richtlinien auch nicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten bei staatlichen Stellen stoßen. Es fragt sich allerdings, welchen Interessentenkreis man überhaupt noch erreicht, wenn die Beratungsmöglichkeiten des § 2 SchKG durch Bischöfliche Richtlinien noch weiter eingeengt würden. Damit ist das entscheidende Problem dieser Beratung angesprochen. Reichweite der Beratung nach § 2 SchKG
Die Beratung nach § 2 SchKG gilt nicht als Lebensschutzberatung im Sinne von § 219 Abs. 1 Satz 1 StGB in Verbindung mit dem SchKG. Es ist allerdings möglich, daß Schwangerschaftskonfliktberatung in nicht staatlich anerkannter Form auch im Rahmen der Beratung nach § 2 SchKG von der Beratungsstelle angeboten werden kann. Da der Schwangeren aber bekannt ist, daß sie in einer Beratungsstelle, die ausschließlich die Beratung nach § 2 SchKG ausführt, keinen staatlich anerkannten Beratungsnachweis erhalten kann, stellt sich die Frage, welche schwangeren Frauen unter diesen Umständen bereit wären, eine derartige Beratungsstelle aufzusuchen, außer denen, die sich schon positiv für das Kind entschieden haben. Eine Schwangere müßte, obschon sie sich in einem engen Zeitraum bewegt, einen weiteren Termin in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle wahrnehmen, um in den Besitz eines Beratungsnachweises zu gelangen. Auch wenn die Ausprägung eines Schwangerschaftskonflikts individuell sehr unterschiedlich ist, wird man diesbezüglich drei grundlegende Beratungsanlässe unterscheiden dürfen: Die Schwangere wünscht eine Beratung und Vermittlung, um Hilfen zu erhalten, die ihr vor, während und nach der Geburt des Kindes zustehen, ohne an einen Schwangerschaftsabbruch zu denken.
Die Schwangere will eine Beratung, weil sie einen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen will und dazu den für die Straflosigkeit erforderlichen Beratungsnachweis braucht.
Die Schwangere will eine Beratung, weil sie nicht sicher ist, ob sie das Kind austragen oder eine Abtreibung vornehmen lassen soll.

In der ersten Fallgruppe wird die Schwangere auch in Erwägung ziehen, eventuell eine katholische Beratungsstelle, die nur nach § 2 SchKG berät, aufzusuchen. Hier dürfte es allein auf die zur Verfügung stehenden Beratungsstellen, deren räumliche Nähe und deren Qualifikation bzw. Reputation ankommen. Daß hier katholische Beratungsstellen einen guten Ruf haben, zeigen die steigenden Zahlen im Bereich der allgemeinen Beratung. Die zweite Fallgruppe dürfte kein Interesse an einer Beratung nach § 2 SchKG haben. Beratungsstellen, die nur diese Beratung anbieten, wären somit außerstande, diese Frauen zu erreichen und gegebenenfalls umzustimmen. Allerdings dürften Schwangere dieser Gruppe auch heute katholische Beratungsstellen, die Konfliktberatung nach §§ 5 und 6 SchKG durchführen, seltener aufsuchen, sofern andere Beratungsstellen, die weniger strikt zum Schutz des Lebens hin beraten, in erreichbarer Nähe sind. Dies schwankt freilich je nach Bundesland und Situation vor Ort. Im Bereich der dritten Fallgruppe werden sich die Schwangeren unterschiedlich verhalten. Es hängt wohl maßgeblich davon ab, in welcher Woche die Schwangerschaft festgestellt wurde. Bei zeitlichen Problemen im Hinblick auf die Einhaltung der 12-Wochen-Frist dürfte die Schwangere eher geneigt sein, eine Beratungsstelle, die ausschließlich die Beratung nach § 2 SchKG ausführt, nicht aufzusuchen. Wenn dagegen noch genügend Zeit ist, könnte die Schwangere den Besuch einer zusätzlichen Beratungsstelle ins Auge fassen, in der sie nur nach § 2 SchKG beraten wird. Im Blick auf die Praxis ist allerdings festzuhalten, daß eine Schwangerschaft in der Regel beim Arzt festgestellt wird, der, wenn die Frau eine Abtreibung in Erwägung zieht, aus medizinischen und haftungsrechtlichen Gründen eher zu einem möglichst frühzeitigen Schwangerschaftsabbruch raten wird. Weiter ist in Betracht zu ziehen, daß der größte Teil der Frauen, die eine Pflichtberatung in Anspruch nehmen, vom Arzt, der die Schwangerschaft feststellt, auf eine bestimmte Beratungsstelle hingewiesen wird. Nach Erhebungen [ Statistik zur Beratung in katholischen Schwangerschaftskonflikt-/Schwangerschaftsberatungsstellen (§ 219 StGB i.V.m.d. SFHÄndG und § 2 SCHKG), 1997. Hrsg.: Deutscher Caritasverband Freiburg und Sozialdienst katholischer Frauen Dortmund.], die für die Jahre 1995 und 96 gemacht wurden, sind ca. 70% der Frauen, die eine katholische Beratungsstelle zur Schwangerschaftskonfliktberatung aufgesucht haben, aufgrund eines Hinweises oder einer Empfehlung ihres Arztes dorthin gekommen. Berät aber die katholische Beratungsstelle nur nach § 2 SchKG ohne Ausstellung des gesetzlich vorgesehenen Beratungsnachweises, werden solche Hinweise oder Empfehlungen wahrscheinlich deutlich zurückgehen; der Arzt könnte aufgrund seiner Vertragspflichten gegenüber der schwangeren Frau solche Hinweise und Empfehlungen nur geben, wenn er zugleich darauf hinwiese, daß, falls ein Beratungsschein gewünscht würde, eine weitere Beratung bei einer anerkannten Beratungsstelle erforderlich ist. Daher muß mit ziemlicher Sicherheit vermutet werden, daß eine Beratungsstelle, die ausschließlich die Beratung nach § 2 SchKG ausführt, einen Großteil der noch unsicheren Frauen ebenfalls nicht wird erreichen können. Diese Auffassung wird jedoch von einzelnen Trägern von Beratungsstellen nicht geteilt. So geht etwa die Beratungsstelle "Die Birke e.V." (Heidelberg) davon aus, daß Frauen auch in tiefgreifenden Schwangerschaftskonflikten für eine freiwillige Beratung offen sind und sich nach Abschluß der Beratung zum weitaus größten Teil für das Leben ihres Kindes entscheiden. Nicht nur aus der grundsätzlichen Ablehnung des derzeit rechtlich definierten Beratungsscheines, sondern auch aus den erwähnten Überlegungen geben diese Beratungsstellen keine Beratungsbestätigung aus. Durch die Beratungsergebnisse sieht sich "Die Birke e.V." in ihrer Haltung bestätigt. Nach ihren Angaben nahmen seit Bestehen der Einrichtung vor etwa 20 Jahren 1500 Frauen an der Beratung teil, von denen sich über 90% für die Austragung des Kindes entschieden. Die von der "Birke" ohne Ausstellung des Beratungsscheines durchgeführten Beratungen zeigen, daß es einen Kreis von Frauen gibt, die aus eigener Initiative in Schwangerschaftskonflikten Beratung in Anspruch nehmen und dafür u.U. auch weite Anfahrtswege und überdurchschnittlich lange Beratungszeiten akzeptieren. Unter dieser Rücksicht stellt diese Beratungseinrichtung eine wichtige Ergänzung des Beratungsangebotes dar. Es kann jedoch nicht übersehen werden, daß mit diesen Beratungsangeboten die Frage der Erreichbarkeit von Frauen in schweren Konfliktsituationen nicht verallgemeinernd beantwortet werden kann. Je deutlicher sich nämlich Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch vorentschieden haben, desto weniger sind sie bereit, sich einer wirklichen Beratung zu unterziehen.

Diese mehr abstrakten Überlegungen werden durch die Erfahrungen der letzten Monate bestätigt. In der Zeit nach dem Bekanntwerden des Papstbriefes zeigte sich durch eine Verunsicherung vieler Ärzte vorübergehend ein starker Abfall der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung in katholischen Beratungsstellen. Eine Stabilisierung trat erst wieder ein, nachdem die Beratungsstellen die Ärzte über ihren (vorläufigen) Verbleib im gesetzlichen System gezielt informiert hatten. Insgesamt läßt sich daher sagen, daß dann, wenn kirchliche Beratungsstellen nur nach § 2 SchKG beraten, sie gerade viele Frauen in Konfliktsituationen, die eine Abtreibung ernsthaft erwägen, nicht mehr erreichen und dadurch in vielen Fällen Abtreibungen nicht mehr verhindern können. Auch wenn dies vorausschauend nicht mit präzisen Zahlen belegt werden kann, drängt sich unmittelbar auf, daß in diesem Fall das Zeugnis der Kirche (in Wort und Tat) zum Schutz jedes einzelnen ungeborenen Kindes deutlich verdunkelt würde. Es ist bekannt, daß das konkrete Zeugnis der Kirche in der Schwangerschaftskonfliktberatung nach §§ 5 und 6 SchKG in vielen Fällen dazu geführt hat, daß ratsuchende Frauen überhaupt keinen Schein mehr beantragten oder trotz der Ausstellung eines Scheins auf den Schwangerschaftsabbruch verzichteten. Hier wird nicht nur mit Worten ein Zeugnis für den Schutz des Lebens abgelegt, sondern Leben tatsächlich vor der Tötung geschützt.[Im Rahmen der Pflichtberatung nach den §§ 5 und 6 SchKG ist den Beraterinnen aufgetragen, ein klares, unmißverständliches und entschiedenes Zeugnis für den Schutz des ungeborenen Lebens gegenüber ratsuchenden Frauen abzulegen, insbesondere gegenüber solchen, die völlig unentschlossen sind, ob sie abtreiben sollen und sogar gegenüber solchen, die mit dem Willen zur Abtreibung in die Beratung kommen. Aufgrund der Empfehlung der Fachärzte kommen auch nicht-christliche Frauen in die katholischen Beratungsstellen. In der Vergangenheit wurden 40,5% nichtkatholische Frauen beraten, davon beispielsweise 12,6% muslimische Frauen und 23% Frauen mit unbekannter oder keiner Religionszugehörigkeit. Hier erreicht das kirchliche Zeugnis unmittelbar in kritischen Situationen Menschen, für deren Entscheidung dieses Zeugnis der Kirche von größter Wichtigkeit ist. Zudem ist bekannt, daß das konkrete Zeugnis der Kirche in der Schwangerschaftskonfliktberatung nach §§ 5 und 6 SchKG in vielen Fällen dazu geführt hat, daß ratsuchende Frauen nach der Beratung die Ausstellung eines Beratungsnachweises nicht mehr wünschten oder trotz ausgestelltem Beratungsnachweis keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, da sie sich für das Kind entschieden hatten. In diesen Fällen kommt es zu wirksamem Lebensschutz.] Wirkung auf das allgemeine Rechtsbewußtsein
Wenn sich die Kirche auf die Beratung nach § 2 SchKG beschränken und damit auf die Ausstellung jedes Beratungsnachweises verzichten würde, hätte dies sicher auch eine positive Wirkung. Es könnte als ausdrucksstarkes Signal und als Beitrag zur Schärfung des öffentlichen Gewissens empfunden werden. Manche heftige Reaktionen nach dem Papstbrief könnten durchaus eine solche Wirkung bestätigen. Es muß allerdings bedacht werden, daß der Wechsel zu einer Selbstbeschränkung auf die Beratung nach § 2 SchKG kein dauerhaftes, deutliches Zeugnis zum Schutz des ungeborenen Lebens ist, sondern ein einmaliger Akt, der wie ein Feuerwerk einmal große Aufmerksamkeit erregt, dann aber mehr oder weniger schnell in Vergessenheit geraten wird; eher dürfte der negative Eindruck bleiben, die Kirche sei sich zu schade, etwas Wirksames zum Schutz des ungeborenen Lebens zu tun. Gestaltungsverzicht
Ein weiterer Aspekt der Bewertung dieses Lösungsmodells ist folgender Gedanke: Wenn die Kirche sich aus der Konfliktberatung nach den §§ 5 und 6 SchKG zurückzieht und ausschließlich eine Beratung nach § 2 SchKG anbietet, bedeutet dies in doppelter Hinsicht einen Verzicht auf Mitgestaltung des Lebensschutzes in der pluralistischen Gesellschaft. An die Stelle der Konfliktberatungsstellen, die bisher von kirchlichen Trägern geführt werden, würden notwendigerweise andere, von staatlichen Stellen oder anderen freien Trägern geführte Einrichtungen treten, da der Gesetzgeber die Länder verpflichtet hat, für eine flächendeckende Einrichtung von Konfliktberatungsstellen nach §§ 5 und 6 SchKG zu sorgen. Es ist unbestritten, daß sich keine große Trägergruppe in der Bundesrepublik Deutschland so eindeutig zum Schutz des ungeborenen Lebens bekennt wie die Katholische Kirche, deren Beratungsstellen nach den Vorläufigen Bischöflichen Richtlinien vom 21. November 1995 arbeiten. Wenn diese kirchlichen Stellen ausschließlich nach § 2 SchKG beraten, überläßt die Kirche damit zwangsläufig andersorientierten Gruppen die Beratung von Frauen gerade in Konfliktsituationen. Der Einfluß dieser Gruppen würde sehr viel größer, und alle Tendenzen, den Schutz des ungeborenen Lebens zu mindern, würden durch eine solche Entscheidung der Kirche noch beschleunigt. Mit Recht müßte kritisch gefragt werden, ob eine solche Entscheidung noch als eindeutiges Eintreten für den Schutz des ungeborenen Lebens bezeichnet werden könnte. Zweitens nähme sich die Kirche bei Verzicht auf eine Mitwirkung in der staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatung auch jede Möglichkeit, auf die Einhaltung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben beim praktischen Gesetzesvollzug (seien sie inhaltlicher, verfahrensrechtlicher oder rechtstatsächlicher Art) sowie auf die Gestaltung von Richtlinien und die faktische Umsetzung des Gesetzes in den Bundesländern einzuwirken und die Realisierung der vom Bundesverfassungsgericht konstatierten gesetzgeberischen Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht kontinuierlich einzufordern. Die Situation in Nordrhein-Westfalen zeigt, daß es tatsächlich gefährliche Entwicklungen gibt, die eigentlich durch die rechtlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr abgedeckt sind, im Falle einer Nichtbeteiligung der Kirche an der Schwangerschaftskonfliktberatung nach §§ 5 und 6 SchKG mangels unmittelbarer Betroffenheit aber nur schwer angreifbar wären. So verpflichten die nordrhein-westfälischen Richtlinien für Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen diese Einrichtungen, den Schwangeren auf Wunsch auch praktische Hilfen zur Abtreibung anzubieten. Solange die Kirche an dieser Beratung beteiligt ist, kann sie dagegen protestieren, indem sie diese Bestimmungen nicht übernimmt und gegebenenfalls auch gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nimmt. Wenn sie nicht mehr beteiligt wäre, wären nur verbale Proteste möglich und völlig belanglos. Die kirchlichen Beratungsstellen könnten zwar "in Ruhe arbeiten", wären andererseits aber kein Partner mehr, mit dem man sich auseinandersetzen müßte.

"Beratungs- und Hilfeplan" Im folgenden wird der Lösungsansatz "Beratungs- und Hilfeplan" vorgestellt, der im Unterschied zu den unter III.1 und III.2 dargestellten Modellen den Nachweis einer Schwangerschaftskonfliktberatung im Sinne der Pflichtberatung einschließt. Folgende Überlegungen liegen diesem Lösungsansatz zugrunde: Die Eindeutigkeit der auf den Lebensschutz hin ausgerichteten Beratung
In der bisherigen Diskussion hat teilweise eine Engführung der Betrachtung auf die Beratungsbescheinigung stattgefunden. Der Prozeßcharakter und der Kontext des Beratungsgeschehens konnten nicht deutlich genug zur Geltung gebracht werden und sind mehr und mehr in den Hintergrund geraten. Infolgedessen wird hier ein Lösungsmodell angezeigt, das alle relevanten Aspekte im Kontext der Schwangerschaftskonfliktberatung berücksichtigt und sehr viel deutlicher als bisher die eindeutige Ausrichtung auf den Lebensschutz hin dokumentiert: der sog. Beratungs- und Hilfeplan. Der in drei Varianten beigefügte Beratungs- und Hilfeplan (vgl. Anhang) wurde aus der Beratungspraxis heraus entwickelt und verdeutlicht die Prozeßhaftigkeit des Beratungsgeschehens, indem er wie an einem Leitfaden die Beratung selbst, sodann existentielle und flankierende Hilfen während der gesamten Schwangerschaft und darüber hinaus bis zum dritten Lebensjahr des Kindes aufnimmt. Dabei orientiert er sich an den Problembündelungen, aus denen heraus Konfliktlagen entstehen. Individuell auf die Notsituation der Ratsuchenden abgestimmt werden entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten in der Beratung erarbeitet und im Beratungs- und Hilfeplan dokumentiert. Die auf diese Weise schriftlich festgehaltenen Zusagen über Unterstützungen, Hilfen und Vermittlungen sind für die Beratungsstelle verbindlich, so daß sie von der beratenen Frau mit dem Beratungs- und Hilfeplan gegebenfalls rechtlich eingefordert werden können. Damit hat der Beratungs- und Hilfeplan eine rechtliche Funktion, die über die Funktion des Scheins der bisherigen Art hinausgeht. Die Zielsetzung der Beratung, das ungeborene Kind dadurch zu schützen, daß der Mutter Perspektiven für ein Leben mit dem Kind eröffnet werden, wird also im Beratungs- und Hilfeplan verbindlich aufgenommen. Dies ist eine neue Qualität des Nachweises. So wird nachvollziehbar, wie im Beratungsprozeß Perspektiven für ein Leben mit dem Kind geschaffen werden können. Dies unterstreicht die eindeutige Aussage der Beratungsbestätigung auf den Lebensschutz hin und spiegelt - deutlicher als zuvor - das seit mehr als 20 Jahren erprobte integrative Beratungskonzept katholischer Beratungsstellen wieder, das Beratung und konkrete Hilfe untrennbar verbindet. Die Verbindlichkeit der Hilfen und ihre Bedeutung in Schwangerschaftskonflikten
Bei der Betrachtung der Gründe, die Frauen einen Schwangerschaftsabbruch erwägen lassen, wird deutlich, wie wichtig es - im Sinne der Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit des kirchlichen Zeugnisses - ist, eine hohe Verbindlichkeit der Hilfen zu gewährleisten. Nur konkrete und zuverlässige Hilfen sind dazu geeignet, Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Dabei geht es gleichermaßen um Beratungsangebote im Sinne einer psychosozialen Begleitung und konkrete Hilfevermittlung. So zeigt die erwähnte Untersuchung in katholischen Beratungsstellen [ "Erhebung zu Erfahrungen mit der Beratungs- und Schutzkonzeption des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) vom 29.06.1995 in anerkannten katholischen Beratungsstellen", Freiburg i.Br. o.J. (Deutscher Caritasverband). Es handelt sich um eine Umfrage in zwei Teilen, die von Mitte Juli bis Ende September 1997 in 101 von 254 katholischen Beratungsstellen durchgeführt wurde. 1316 Fragebögen, ausgefüllt von der Beraterin nach einer abgeschlossenen Konfliktberatung - sowie 99 Fragebögen - beantwortet von der Beratungsstelle/dem Beratungsteam - wurden ausgewertet. Die Erhebung wurde durchgeführt vom Sozialdienst katholischer Frauen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Caritasverband.] , daß es folgende Problemaspekte gibt, die bei der Erwägung eines Schwangerschaftsabbruchs bedeutsam sind: Ängste, Erschöpfung und Überforderung stehen hierbei an erster Stelle; diese verschärfen sich durch materiell-finanzielle Schwierigkeiten und die Angst vor dem Abstieg in die Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit. Kommt noch die oftmals ablehnende Einstellung des Kindsvaters zur Schwangerschaft hinzu, so wird deutlich, daß die Notwendigkeit an verbindlichen Hilfen in der und durch die Beratung für die Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten unerläßlich ist, um ein Gegengewicht zu der bestehenden tiefen Verunsicherung und Destabilisierung herstellen zu können. Der integrative Ansatz von Beratung und konkreter Hilfevermittlung in katholischen Beratungsstellen ist aus dieser Erfahrung erwachsen. In allen drei Varianten des vorliegenden Beratungs- und Hilfeplans sind die verschiedenen Möglichkeiten der Hilfe im einzelnen aufgeführt. Je verbindlicher die Unterstützung in der Durchsetzung von Rechtsansprüchen, Leistungen aus Stiftungen und Fonds, Kinderbetreuungsmöglichkeiten usw. zugesagt werden können, desto leichter können andere Probleme in den Blick genommen und die Bereitschaft zur Annahme des Kindes gestützt werden. Dies macht deutlich, daß Beratung und konkrete Hilfen möglichst eng und verpflichtend aufeinander bezogen werden müssen. Mit den Anmerkungen "Hilfen in Aussicht gestellt, beantragt, bewilligt" etc., können innerhalb des Beratungs- und Hilfeplans konkrete Maßnahmen entsprechend bestätigt werden. Auch darin zeigt sich die Prozeßhaftigkeit und die eindeutige Ausrichtung der Beratung auf den Lebensschutz. Die Erreichbarkeit von Ratsuchenden in Schwangerschaftskonflikten
Die Beratungserfahrung zeigt, daß Ratsuchende in ihrer Not und Krise ernst- und angenommen werden müssen. Nur dort, wo auch ablehnende Gefühle zugelassen werden, kann eine personale Beziehung entstehen, die es ermöglicht, daß sich die Ratsuchende öffnet und eine Annäherung an die zentralen Konflikte möglich wird. Nur Perspektiven, die an diesen Kernpunkten ansetzen, können wirklich eine Annahme des Kindes ermöglichen.
Zudem lehrt die Erfahrung in den Beratungsstellen, daß für Ratsuchende, die sich in ihrer Not und Krise ernst- und angenommen fühlen wollen, die grundsätzliche Bereitschaft der Beratungsstelle, nach der erfolgten Beratung einen Nachweis auszustellen, das entscheidende Kriterium für die Wahl der Beratungsstelle ist. Nur so ist gewährleistet, daß die besonders betroffenen Personengruppen auch tatsächlich durch das Beratungsangebot erreicht werden. Im Interesse eines unzweideutigen Zeugnisses für das Leben ist es eines der wichtigsten Ziele, Ratsuchende in ihrem existentiellen Entscheidungskonflikt zu erreichen. Da Krisen meist mit Beziehungsabbrüchen einhergehen, Menschen sich zurückziehen, das Umfeld den Kontakt abbricht oder eigene Interessen verfolgt, ist ein Beratungs- und Beziehungsangebot der Beratungsstelle gerade für diesen Personenkreis unverzichtbar. Nur über das Erreichen der Ratsuchenden können Perspektiven für das Leben mit dem Kind erarbeitet werden. Der Aufbau und die Wirkweise des Beratungs- und Hilfeplans
Im Hinblick auf die ratsuchende Frau stellt der Beratungs- und Hilfeplan eine Unterstützung für die Zeit der Entscheidungsfindung zugunsten eines Ja zum Kind dar. Denn er erinnert an die Überlegungen im Rahmen des Beratungsgesprächs, wo die Möglichkeiten einer Lösung des Konflikts zur Sprache kommen, die der Ratsuchenden selbst innewohnen, die in der Beziehung zum Vater liegen, oder die ihr das soziale Umfeld oder die Allgemeinheit zur Verfügung stellen können. Was an individueller und zukunftsorientierter Hilfe möglich ist, legt er der Ratsuchenden noch einmal dar. Ebenso hält er gemachte Zusagen fest und trägt somit zu Verläßlichkeit und persönlicher Sicherheit bei. Im Hinblick auf den Beratungsprozeß hilft der Beratungs- und Hilfeplan festzuhalten, was an gemeinsam konkretisierten Lebensperspektiven erarbeitet worden ist. Er unterstützt den Prozeß der weiterführenden Beratung und Begleitung. Im Hinblick auf Kirche und Gesellschaft allgemein dokumentiert der Beratungs- und Hilfeplan eine entschiedene, an Ressourcen und Perspektiven orientierte Arbeit mit einer klaren Option und einem klaren Zeugnis für den Lebensschutz. Er trägt die Intention der Pflichtberatung und die staatliche Verpflichtung zur Beratung im Sinne des Lebensschutzes mit. Als Zeichen der Mitverantwortung für das Leben von Kindern zeigt er die Notwendigkeit von existentiellen und flankierenden Hilfen auf und fordert, Rahmenbedingungen frauen- und familienfördernd auszugestalten.

Beim Beratungs- und Hilfeplan wird von einem diesbezüglichen Gestaltungsfreiraum auf der Grundlage des Bundesgesetzes ausgegangen, da dieses explizit nur die Bestätigung einer Schwangerschaftskonfliktberatung der betroffenen Frau, die Anführung des Abschlußdatums und die Bezeichnung der staatlich anerkannten Beratungsstelle zwingend vorsieht. Die drei vorliegenden Varianten des Beratungs- und Hilfeplans implizieren die Pflichtberatung nach §§ 5 und 6 SchKG und sehen deren Bestätigung vor. In allen 3 Varianten ist der Hinweis darauf enthalten, daß die Aushändigung des Beratungs- und Hilfeplans keinerlei Akzeptanz eines Schwangerschaftsabbruchs bedeutet. Einige persönlich gehaltene Formulierungen erleichtern den Zugang zum Beratungs- und Hilfeplan und verstärken den einladenden Charakter. Die drei Varianten unterscheiden sich durch die Art und Weise des Bezugs auf die gesetzlichen Grundlagen. Die Variante 1 benennt keine gesetzliche Grundlage, sondern beschreibt nur das Ziel der Beratung und Hilfe. Damit wird die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Beratung und Hilfe von staatlichen Regelungen deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Variante 2 nennt die Paragraphen 5 und 6 SchKG und kennzeichnet damit zusätzlich, daß es sich um eine Konfliktberatung mit dem Ziel des Lebensschutzes handelt. Die Variante 3 formuliert den Gesetzesbezug nach § 219 StGB und §§ 5 und 6 SchKG. Eine gewisse Vergleichbarkeit mit der alten Form des Beratungsnachweises sollte nicht dazu führen, daß diese Variante vorschnell verworfen wird; das Andersartige und in gewisser Weise Neue dieses Nachweises liegt in der klaren Hervorhebung der Eindeutigkeit von Beratung, der Prozeßhaftigkeit des Geschehens und der Erreichbarkeit der Frauen im Sinne des Lebensschutzes § 219 StGB hat für den Lebensschutz sehr starke und hilfreiche Formulierungen. Eine Präsentation der drei Varianten des Beratungs- und Hilfeplans findet sich im Anhang. Der Beratungs- und Hilfeplan zeigt deutlich, daß die Verantwortung jedes einzelnen am Prozeß Beteiligten gesehen wird. So steht die Beraterin ein für die lebensschützende Ausgestaltung der Beratung und deren Qualität, zu der der Aufweis gehört, daß das Kind ein eigenes Lebensrecht hat, unabhängig von der Mutter. Die Beratungsthemen weisen auf die Bedeutung des Partners und des sozialen Umfeldes für die Ratsuchende in der Frage der Annahme der Schwangerschaft und des gezeugten Kindes hin. Die Ratsuchende selbst wird in einem Prozeß begleitet, in dem thematisiert wird, daß ein Schwangerschaftsabbruch nicht in die Situation zurückführt, die vor dem Eintreten der Schwangerschaft bestand. Das zu erwartende Kind ist Teil des eigenen Lebens, auch der Tod des Kindes. In dieser Frage wird die Dimension des Konflikts deutlich. Stärker noch als unter Bedingungen einer Indikationsfeststellung im Sinne einer sozialen Notlage kann die Verantwortlichkeit der Frau in den Beratungsprozeß einbezogen werden, da keine "Verantwortungsdelegation" an den indikationsstellenden Arzt möglich ist. Es liegt in der Natur der Zwiespältigkeit (Ambivalenz) der Konfliktlage, daß auch nach einer Schwangerschaftskonfliktberatung, die mit dem Beratungs- und Hilfeplan bestätigt wurde, ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen kann. Auch wenn die Beraterin in jeder erdenklichen Weise das Leben des ungeborenen Kindes retten wollte und der Mutter entsprechende Hilfen angeboten hat, kann es dennoch vorkommen, daß eine schwangere Frau die manchmal äußere oder meist innere Not als unüberwindlich erlebt und sich nicht in der Lage sieht, die denkbaren und realisierbaren Hilfemöglichkeiten wahrzunehmen oder anzunehmen. Wenn trotz aller Bemühungen eine Abtreibung erfolgt, bestätigt der Beratungsnachweis nur, daß die Beratung in diesem "Kampf" unterlegen ist. Das Dokument bekundet in keiner Weise irgendein Einverständnis mit der Entscheidung, sondern bestätigt das Bemühen der Beraterin um das Leben des ungeborenen Kindes und dokumentiert die Hilfen, die die Mutter in der Zeit ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt ihres Kindes erwarten bzw. sogar einfordern kann. Auch die Beratung von Frauen, die abgetrieben haben, stellt einen wichtigen Teil-Auftrag der Schwangerschaftsberatung dar. Auf diesem Weg gelingt es Beraterinnen auch, dieselben Frauen bei erneuter Schwangerschaft zu begleiten und sie nicht selten zum Austragen des Kindes zu ermutigen.
In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß auch noch heute Schwangerschaftsabbrüche ohne vorherige Beratung vorgenommen werden, und dies bei dem extensiven Indikationenkatalog des § 218 a Abs. 2 StGB sogar legal ist. So ist es nach wie vor eine Aufgabe, für die Pflichtberatung und deren lebensschützende Funktion zu werben, da darin die berechtigte Hoffnung und Chance liegt, auf den Schutz des Kindes vor seiner Tötung hinwirken zu können.

Vergewisserung des Arztes durch Rückfrage bei der Beratungsstelle statt eines Beratungsscheins Ein anderer Weg, der Bitte des Papstes zu entsprechen, daß Beratungsscheine der bisherigen Art nicht mehr ausgestellt werden und die Kirche gleichwohl in der Beratung wirksam engagiert bleibt, könnte darin liegen, daß die Beratungsstellen einen Beratungsschein nicht mehr ausstellen, der Nachweis über die stattgefundene Beratung aber auf andere Weise erbracht wird. Für diesen Weg sind verschiedene Varianten denkbar und ins Gespräch gebracht worden: Eine eidesstattliche Erklärung der Frau vor einer zur Abnahme solcher Erklärungen befugten Stelle, sie habe sich beraten lassen; die Bestätigung einer anderen Beratungsstelle, daß eine Beratung stattgefunden habe; die Erteilung des Beratungsscheins (in Form eines Testats) durch das Staatliche Gesundheitsamt auf der Grundlage einer Beratungsbestätigung durch die Beratungsstelle; die Dokumentation des Arztes, der die Abtreibung vornehmen soll, er habe sich über die stattgefundene Beratung vergewissert. Bei allen Differenzierungen im einzelnen folgen diese Varianten dem gleichen Modell. Es soll hier anhand der - in diesem Modell wohl am ehesten praktikablen - Variante der Vergewisserung des Arztes über die stattgefundene Beratung durch Rückfrage bei der Beratungsstelle näher dargelegt werden. Der Nachweis über die Beratung könnte in der Weise erfolgen, daß die Frau dem Arzt, der die Abtreibung vornehmen soll, schriftlich mitteilt, sie habe sich von einer anerkannten Beratungsstelle beraten lassen, und der Arzt bestätigt bzw. dokumentiert, er habe sich vergewissert, daß eine Beratung stattgefunden habe. Die Vergewisserung des Arztes käme dadurch zustande, daß die Beratungsstelle auf Nachfrage die Auskunft gibt, Frau X sei beraten worden.

Bei diesem Weg wird für die Frau und nach außen ganz deutlich, daß nicht durch eine Bescheinigung ein strafloser Schwangerschaftsabbruch ermöglicht oder gar erlaubt wird, vielmehr die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch bei der Frau und in ihrer Verantwortung liegt. Die Auskunft der Beratungsstelle, eine Beratung habe stattgefunden, besagt lediglich, daß zum Schutz des ungeborenen Kindes der Versuch gemacht worden ist, die Frau für ein Austragen des Kindes zu gewinnen.

Ein Problem könnte sein, die vom Gesetz als Möglichkeit zugesicherte Anonymität der ratsuchenden Frau gegenüber der beratenden Person zu wahren. Eine Gefährdung dieser Anonymitätswahrung, von der nach bisheriger Erfahrung nur sehr selten Gebrauch gemacht wird, ist jedoch kaum zu befürchten. Auch jetzt ist in jeder Beratungsstelle die persönliche Identität der ratsuchenden Frau bekannt, entweder der Beraterin selbst oder - bei Anonymitätswahrung ihr gegenüber - einer anderen Person (Verwaltungsangestellte) der Beratungsstelle; anders könnte auch die Beratungsbescheinigung nicht ausgestellt werden. Wird die Nachfrage des Arztes an die Verwaltungskraft geleitet, entsteht so keinerlei Anonymitätsgefährdung. Zwar müßten die Personaldaten wegen der Möglichkeit der ärztlichen Nachfrage jedenfalls einige Tage über den Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche hinaus aufbewahrt werden, aber auch daraus läßt sich eine Gefährdung der Anonymität nicht herleiten.

Die Gefahr eines Mißbrauchs der erforderlichen Nachfrage durch fingierte Nachfragen kann - wie überall - nicht absolut ausgeschlossen werden, aber sie ist äußerst gering; ihr kann wirksam entgegengesteuert werden. Und zwar dadurch, daß auf solche Nachfrage nicht unmittelbar geantwortet wird, sondern erst nach Rückfrage/Rückruf und erfolgter Prüfung, ob die angegebene Arztpraxis oder Einrichtung auch so besteht. Daß sich Ärzte selbst für fingierte Anfragen einspannen lassen, kann als reale Gefahr vernachlässigt werden; allenfalls wenn der Arzt zum engsten Umfeld der Frau gehört oder selbst der Vater ist, käme dies in Betracht.

Gesehen werden muß allerdings, daß für die ratsuchende Frau eine Ungewißheitssituation entsteht, die sich psychisch auswirken kann. Ihr wird über die Beratung eine Bescheinigung nicht ausgestellt; sie bleibt, um für sich sicher zu gehen, auf die spätere Vergewisserung des Arztes angewiesen, den sie aber eigentlich erst aufsucht, wenn sie sich zur Abtreibung so gut wie entschlossen hat. Das kann sowohl die Beratungssituation im Sinne eines Feldes personaler Interaktion beeinflussen, als auch die Wirkung der Beratung beeinträchtigen, weil eine unbelastete Verarbeitung des zur Annahme des Kindes motivierenden Beratungsgesprächs ein Stück weit gehemmt ist.

Wenn allerdings die Beratungsstelle vom Arzt über die erfolgte Beratung gefragt wird, ist deutlich, daß das Ziel der Beratung womöglich nicht erreicht worden ist. Die Auskunft kann eine Abtreibung nicht mehr verhindern oder ihr entgegenwirken. Das ist bei der jetzigen Regelung nicht der Fall, weil nicht wenige Beratungsnachweise nicht zur Vorlage beim Arzt benutzt werden, da sich die Frau gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet.

Um den dargelegten Weg zu realisieren, wäre eine Änderung des gegenwärtigen Gesetzes notwendig. § 219 Abs. 2 StGB, der vorschreibt, daß die Beratungsstelle nach Abschluß der Beratung eine Bescheinigung auszustellen hat, müßte dahin ergänzt werden, daß an die Stelle einer solchen Bescheinigung auch die Bestätigung des Arztes treten kann, er habe sich über die stattgefundene Beratung vergewissert. Diese Änderung muß durch den Bundesgesetzgeber erfolgen, da § 219 Abs. 2 StGB eine präzise Regelung, die abschließenden Charakter hat, darstellt und daher vom Landesgesetzgeber nicht ergänzt oder modifiziert werden kann. Eine solche Änderung wäre zwar keine Zumutung an den Gesetzgeber, da das Beratungskonzept als solches dadurch in keiner Weise berührt, nur der Beratungsnachweis anders geregelt wird. Allerdings darf in der gegebenen politischen Konstellation die Gefahr einer Gesetzesänderung in Richtung einer Fristenlösung oder der völligen Beseitigung der Pflicht zur Beratung nicht außer Betracht bleiben. Dann wären die letzten Dinge schlimmer als die ersten.

Begleitmaßnahmen zu den Lösungen nach Ziff. III.3 und III.4 Wenn eine der Lösungen nach Ziff. III.3 oder III.4 gewählt wird, sollte die Deutsche Bischofskonferenz dies durch zwei Maßnahmen begleiten. Eine professionell entwickelte Öffentlichkeitsarbeit sollte die Tätigkeit aller kirchlich anerkannten Beratungsstellen kontinuierlich begleiten. Dabei müßte diese Öffentlichkeitsarbeit zwei Ziele im Auge haben: die Herausstellung des Beratungsziels (unbedingter Schutz des Lebens) und die Gewinnung von Frauen, die in der Konfliktsituation unentschieden sind. Es sollte darum gehen, das Profil der kirchlichen Beratungsstellen als Partner für eine umfassende Lebenshilfe in der Öffentlichkeit weiter auszubauen. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, Einzelheiten einer solchen Maßnahme zu schildern, da sie professionell entwickelt werden müßten. Zweifellos würde zu einer solchen Maßnahme aber ein präzises Leitwort gehören, wie zum Beispiel "für das Leben", das sinnvollerweise dann auch auf dem Umschlag des "Beratungs- und Hilfeplans" eingedrückt werden sollte. Hinzukommen könnte ein einprägsames Signet und verschiedene Einzelaktionen, die diese Zielrichtung in der Öffentlichkeit noch deutlicher ins Bewußtsein rücken würden. Die deutschen Bischöfe sollten die vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht konsequent anmahnen und vor allem die strikte Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht statuierten Mindestanforderungen an die staatliche Schutzpflicht für das ungeborene Leben [ In dem Urteil vom 28.05.1993 heißt es bemerkenswerterweise: "Das Konzept der Beratungsregelung kann die Mindestanforderungen an die staatliche Schutzpflicht nur dann erfüllen, wenn es auf die Erhaltung und Stärkung des Rechtsbewußtseins besonderen Bedacht nimmt. Nur wenn das Bewußtsein von dem Recht des Ungeborenen auf Leben wach erhalten wird, kann die unter den Bedingungen der Beratungsregelung von der Frau zu tragende Verantwortung an diesem Recht ausgerichtet und prinzipiell geeignet sein, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen." (BVerfGE 88, 203 [320]). ] beharrlich einfordern. Ganz unabhängig davon sollten die Bischöfe nachdrücklich für eine Verbesserung der gesetzlichen Lage eintreten. In diesem Zusammenhang darf auch daran erinnert werden, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.05.1993 eindeutig fordert, das Bewußtsein des Lebensschutzes für das ungeborene Kind durch die Unterweisung in den Schulen und die Meinungsbildung in den Medien, besonders in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, viel stärker zu stützen. Nach unserer Kenntnis ist diese berechtigte und notwendige Aufgabe in der Erziehung, in den Unterrichts- und Lehrplänen sowie in den Medien bisher nur geringfügig erfüllt worden. Durch beide Maßnahmen würde in der Öffentlichkeit die eindeutige Stellung der katholischen Kirche zum Schutz des ungeborenen Lebens klar herausgestellt.

IV. Zur ethischen Vertretbarkeit der Beratung im Rahmen des Beratungskonzepts
Die Darstellung der geltenden Rechtslage in Deutschland (oben II, 1-3) und die Erörterung der Lösungswege (vgl. III, 3-4) haben deutlich werden lassen, daß das Grundproblem für die kirchliche Beratungstätigkeit nicht allein und primär in der Ausstellung eines Beratungsnachweises liegt, sondern in der im Beratungskonzept selbst angelegten immanenten Notwendigkeit, daß eine trotz der Beratung geschehene Abtreibung für den abtreibenden Arzt und die schwangere Frau straflos bleibt. Die zweifache Funktion des Beratungsnachweises, von der auch Papst Johannes Paul II. in seinem Brief spricht (Nr. 7), daß er nämlich einerseits eine Beratung bestätigt, die auf den Lebensschutz für das ungeborene Kind orientiert ist, andererseits aber eine Bedingung (neben anderen) für die straffreie Durchführung einer Abtreibung darstellt, hat ja nicht aus sich konstitutive Bedeutung für die Straflosigkeit der Abtreibung; sie ist nur Ausfluß und Folge dessen, was der Paradigmenwechsel im Lebensschutz, die Hinwendung zum Beratungskonzept, aus sich heraus fordert.

Die doppelte Bedeutung ist offensichtlich: Im Beratungskonzept kann einerseits ein Stück weit der rechtlich und moralisch gebotene Schutz des ungeborenen Kindes zur Geltung gebracht werden; eine Abtreibung ist - von den Indikationen abgesehen - stets rechtswidrig und mit Unrecht behaftet. Auf der anderen Seite wird unter bestimmten Bedingungen von der Strafdrohung abgesehen.

Die Spannung zwischen diesen beiden Funktionen wächst, wenn man bedenkt, daß nach der Tradition der Kirche der Gesetzgeber Grundrechtsverletzungen, wie die Verletzung des Rechts auf Leben, nie erlauben darf, geschweige denn einen Rechtsanspruch auf sie begründen kann. [ Vgl. Johannes XXIII, Enzyklika "Pacem in terris", 11.04.1963, Nr. 27.] Deshalb darf man "nicht vergessen, daß es Sache der staatlichen Autorität ist, durch zweckmäßige Gesetze und Strafen das Leben der Unschuldigen zu schützen; und zwar um so mehr, je weniger das gefährdete Leben sich selber schützen kann. Und hier stehen an erster Stelle die Kinder, die die Mutter noch in ihrem Schoß trägt." [ Pius XI., Enzyklika "Casti connubii", 31.12.1930, Kap. II, 2, Nr. 67.] Die staatliche Verantwortlichkeit in dieser Frage erschöpft sich jedoch nicht in der strafrechtlichen Sanktionierung. [Vgl. Pius XI., Casti connubii, Kap. II, 1, Nr. 61, und Kap. III, 6, Nr. 126 und 127; Kongregation für die Glaubenslehre, Über den Schwangerschaftsabbruch, 18.11.1974, Nr. 23, vgl. auch Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", Art. 27, 51; Enzyklika "Evangelium vitae", 25.05.1995, Art. 44, 52-55, 57, 58-62, 68-74; vgl. auch Paul VI., Enzyklika "Humane vitae", 25.07.1968, Art. 14-18.]

Wenn die Kirche die Verletzung des Lebensrechts ungeborener Kinder immer mit strengen Sanktionen versehen hat - übrigens auch in ihrer eigenen, mehr nach innen gerichteten Rechtsordnung [Vgl. CIC/1983, cc. 1398, 1041, n.4 und 695 §2; CCEO/1990, cc. 1450 §2, 728 §2; 762 § 1, n.4; 763, n.2.]-, da es um das höchste irdische Gut geht, wird die Frage dringlicher, ob unter dieser Rücksicht die kirchliche Beteiligung an der Schwangerschaftskonfliktberatung im Rahmen des gesetzlichen Beratungskonzeptes möglich ist. Darum spitzen sich die Fragen zu: Kann, ja darf die Kirche sich an Beratungen innerhalb eines gesetzlichen Beratungssystems beteiligen, das die straffreie Abtreibung ermöglicht? Darf sie es, wenn und weil dessen ungeachtet durch die Art und Ausrichtung der Beratungen Abtreibungen verhindert werden können? Oder muß sie um des unzweideutigen Zeugnisses für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder willen davon Abstand nehmen, und dies auch auf die Gefahr hin, daß dadurch ungeborene Kinder, deren Leben durch ihre Beratungstätigkeit erhalten bliebe, nicht gerettet werden?

Die Kirche anerkennt zwar allgemein den Unterschied von Moral und Recht und damit auch, daß der Staat nicht alle ethischen Forderungen strafrechtlich zu sanktionieren braucht [Vgl. Pius XII., Moral und Recht in der Militärmedizin, Ansprache vom 05.10.1953, in: AAS 45 (1953) 744-754, bes. 747, 751.], doch dürfen gerade in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Sicherung fundamentaler Grundrechte und die sittenbildende Funktion des Strafrechts nicht übersehen werden.

Die kirchliche Lehre vom unbedingten Lebensrecht der ungeborenen Kinder und der Abtreibung als einem schweren Unrecht, das niemals sittlich gerechtfertigt werden kann (s. oben I,1), wird durch das Beratungskonzept weder verurteilt noch zurückgewiesen. Das Beratungskonzept anerkennt auch keine Freiheit zur Abtreibung als Ausfluß des Rechts auf Privatheit (privacy), wie es der Rechtslage in den USA entspricht. Die Kirche ist auch nicht gehindert, ihre Lehre von der Unantastbarkeit des Lebens der ungeborenen Kinder, wo immer sie will, öffentlich geltend zu machen und ihrer Beratungstätigkeit zugrunde zu legen.

Eine Infragestellung der kirchlichen Lehre könnte aus dem Beratungskonzept allerdings dann hergeleitet werden, wenn nicht nur die Abtreibung als solche, sondern auch der Umstand, daß eine geschehene Abtreibung ohne Strafandrohung bleibt, in sich unsittlich ist und dem Naturrecht widerspricht. Dies dürfte jedoch nicht leicht zu begründen sein. Aus dem unbedingten Lebensrecht der ungeborenen Kinder folgt für den Staat die Pflicht, dieses Lebensrecht, soweit es ihm möglich ist, wirksam zu schützen. Ob dieser gebotene Schutz jedoch wirksamer durch die Strafbewehrung der Abtreibung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann, ist von gegebenen Umständen in der Gesellschaft abhängig. Es betrifft nicht mehr das Prinzip des Lebensschutzes selbst, sondern die Anwendung dieses Prinzips. Zwar wird in aller Regel der Schutz von Rechtsgütern, und insbesondere der des menschlichen Lebens, durch Bestrafung jeden Verstoßes dagegen angezeigt und auch geboten sein, nicht zuletzt zur Wiederherstellung der verletzten Gerechtigkeit. Gleichwohl kann es Situationen geben, in denen das Strafrecht als Weg eines wirksamen Schutzes fragwürdig wird und an seine Grenzen stößt.

Strafgewalt übt der moderne Staat nicht um ihrer selbst willen aus, sondern zum Schutz von Rechtsgütern der in ihm lebenden Menschen. Zeigt nun die Erfahrung - und diese Erfahrung ist für die Abtreibungsfrage leider vielfach belegt -, daß bestimmte Rechtsgüter durch generelle und unbedingte Strafbewehrung nicht mehr wirksam geschützt werden können, die Rechtsgutverletzung vielmehr gleichwohl eine Massenerscheinung bleibt, kann es nicht von vornherein unerlaubt und in sich unsittlich sein, andere als strafrechtliche Schutzvorkehrungen, die geeignet erscheinen, ins Auge zu fassen und zu praktizieren. Dies gilt auch, wenn es sich um den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens handelt.

Hier ist an das Wort des Katechismus der Katholischen Kirche zu erinnern (Nr. 2273), das der Instruktion "Donum vitae" vom 22.02.1987 entnommen ist. "Als Folge der Achtung und des Schutzes, den man den Ungeborenen vom Augenblick einer Empfängnis zusichern muß, muß das Gesetz die geeigneten Strafmaßnahmen für jede gewollte Verletzung seiner Rechte vorsehen" (Nr.3). Dies weist wenigstens auf die Angemessenheit der Strafmaßnahmen hin, was gewiß auch mit ihrer Wirksamkeit in Verbindung gebracht werden kann.

Im ganzen zeigen diese Überlegungen, daß die Androhung einer Strafe gerade im Bereich des Lebensschutzes ungeborener Kinder zwar eine Forderung der Gerechtigkeit ist, daß sie aber trotz des unbedingten Lebensschutzes selbst nicht unbedingt, sondern im Rahmen ihrer Eignung geboten ist und der Verzicht auf ihre Verhängung nicht schon in sich unsittlich sein muß. Können in diesem Sinne staatliche Schutzvorkehrungen zugunsten der ungeborenen Kinder, die gewissermaßen als Nebenwirkung unter bestimmten Bedingungen von der Strafbarkeit einer Abtreibung absehen, nicht von vornherein und in jedem Fall als unerlaubt angesehen werden, muß dies auch analog für die Mitwirkung der Kirche im Rahmen solcher Schutzvorkehrungen gelten.

Für die Vertretbarkeit der Beteiligung der Kirche an der Schwangerschaftskonfliktberatung kommt es auch darauf an, ob diese Vorkehrungen eine wirkliche - womöglich bessere - Chance zum Schutz der ungeborenen Kinder bieten und ob die Kirche dabei mit dem von ihr geforderten Zeugnis nicht ins Zwielicht gerät. Hier darf nun bei allen Mängeln, die die geltende gesetzliche Regelung hat - die deutschen Bischöfe haben nie verhehlt, daß sie sich mit dieser Regelung nicht abfinden werden - und bei aller Ambivalenz, die dem Beratungskonzept zu eigen ist (siehe oben II,2), nicht übersehen werden, daß immerhin die Beratung ausdrücklich und von Gesetzes wegen als Schutzinstrument zugunsten des ungeborenen Lebens vorgesehen und ausgestaltet ist, um eine Abtreibung nach Möglichkeit zu verhindern, und daß sie, um sie als Schutzinstrument effektiv zu machen, sogar als Pflichtberatung vorgeschrieben ist. Alles kommt darauf an, daß dieses so verstandene Beratungskonzept mit den flankierenden Maßnahmen uneingeschränkt und mit allen Kräften verwirklicht wird.

Die bisherige Beratungspraxis katholischer Beratungsstellen bestätigt auch, daß hier eine reale Chance liegt, in Not befindlichen Frauen zu helfen und das Leben ungeborener Kinder in nicht unbeträchtlichem Umfang zu retten.

Schließlich muß in Betracht gezogen werden, was vom modernen Staat, der keine "societas perfecta" mehr ist, an verbindlicher rechtlicher Regelung im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs konkret erwartet werden kann. Als politische Ordnung säkularen Charakters kann vom Staat nicht verlangt werden, die Ordnung des sittlichen Naturrechts, wie sie von der glaubensgeleiteten Vernunft erkannt und anerkannt wird, in vollem Umfang zum Inhalt der staatlichen Rechtsordnung zu machen. Aufgabe des Staates ist es, das äußere irdische Zusammenleben der in ihm geeinten Menschen im Sinne des Gemeinwohls und der Achtung von Leben und Freiheit der einzelnen zu regeln. Die Achtung vor dem menschlichen Leben von Anfang an ist darin fundamental eingeschlossen.

Allerdings gehört zur Idee der Rechtsordnung notwendig die Wirksamkeit des Rechts, d.h. die Beachtung der faktischen Auswirkungen des geschriebenen Rechts. Anders als ethisch-sittliche Gebote, die unabhängig von ihrer tatsächlichen Befolgung in sich stehen, ist das Recht darauf verwiesen und auch darauf angewiesen, tatsächliche Wirksamkeit und soziale Geltung zu erlangen, will es nicht seine sozialordnende und friedensverbürgende Funktion verlieren, die zu seinen Wesensmerkmalen gehört. Dieses Recht soll das Verhalten der Menschen effektiv steuern können. Nun besteht aber kein Zweifel, daß eine überwiegend strafrechtliche Konzeption in der gesetzlichen Regelung der Abtreibung in hohem Maß bei der Gewährleistung des Lebensschutzes faktisch unwirksam ist und in vielen Ländern heute keinen namhaften Schutz darstellt. Deshalb soll man freilich nicht einfach auf das Strafrecht verzichten.

Gerade angesichts der äußerst schwachen Wirkung des Strafrechts allein ist es mehr als angebracht, den Schutz des Lebens des ungeborenen Kindes dadurch wirksamer zu suchen, indem es gelingt, die Mütter selbst dafür zu gewinnen. Dabei geht es nicht um die immer wieder beschworene Entscheidungsautonomie der Frau. Eine solche Entscheidungsbefugnis gibt es nach kirchlicher Lehre nicht. [ Dabei bleibt auch für den staatlichen Bereich zu beachten - was sehr oft übersehen wird -, daß es im Blick auf eine Abtreibung nicht eine "Gewissensentscheidung" geben kann, die einen Abbruch rechtfertigt. In der Tat hat sogar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.1975 (vgl. BVerfGE 39, 1, 48) in einer "Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft den Rang einer achtenswerten Gewissensentscheidung" erblicken wollen. Das Urteil vom 28.05.1993 (vgl. BVerfGE 88, 203, 308) kritisiert jedoch eine solche Rede: "Indes kann die Frau, die sich nach Beratung zum Abbruch entschließt, für die damit einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht etwa eine grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen. Verfassungsrechtlich zulässig kann das Gesetz nur eine gewissenhaft zustandegekommene und in diesem Sinne achtenswerte Entscheidung meinen." Daran kann auch eine "Letztverantwortung" der Frau nicht vorbeigehen.] Etwas anderes ist es, sensibel zu sein für die Verantwortung der Frau in einer solchen Situation. Die Beratung appelliert an die sittliche Verantwortung der Schwangeren. Sie ist mithin von demselben Ethos bestimmt wie die Strafandrohung: dem Schutz und der Achtung vor der Würde des ungeborenen Kindes. Dies ist schließlich auch identisch mit der Wahrung der Würde der schwangeren Frau selbst.

An dieser Stelle geht es um eine wichtige Unterscheidung. Eine stärkere Inanspruchnahme der Sensibilität und des Verantwortungsbewußtseins der schwangeren Frau ist etwas anderes als eine sogenannte Entscheidungsautonomie, die über das Lebensrecht des Kindes hinweggeht.

Hier muß die Kirche klug und zugleich entschieden sein. Denn zweifellos ergibt sich hier eine Gefahr für das Zeugnis der Kirche, da ihre Beteiligung an der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtberatung - ungeachtet dabei erzielter Beratungserfolge - den Eindruck hervorrufen kann, die Kirche nehme die im Beratungskonzept mitgegebene faktische Möglichkeit der Abtreibung als Entscheidungsbefugnis der Frau hin oder billige sie sogar. Nur wenn ein solcher Eindruck nachhaltig und überzeugend ausgeräumt werden kann, läßt sich vermeiden, daß es zu einer Verdunkelung des kirchlichen Zeugnisses - auch mit Rückwirkungen auf das allgemeine Rechtsbewußtsein - kommt.

Deshalb ist es wichtig, gegenüber der Öffentlichkeit noch besser und anschaulicher als bisher deutlich zu machen, warum und auf Grund welcher Intention die Kirche sich an Konfliktberatungen im Rahmen des Beratungskonzeptes beteiligt, obgleich für sie Abtreibung niemals als Lösung eines Schwangerschaftskonflikts in Betracht kommen kann: Daß nämlich die Kirche sich hierbei nicht auf den Boden eines bestimmten Beratungskonzepts stellt, das sie nicht zu vertreten hat und nicht einfachhin gutheißt, sondern daß sie aus ihrem eigenen Auftrag die im Rahmen dieses Konzepts bei all seiner Unzulänglichkeit doch gebotene reale Chance wahrnimmt, durch die Beratungstätigkeit Frauen in Not beizustehen und das Leben ungeborener Kinder vor drohender Tötung zu retten. Nochmals darf an das eingangs (vgl. I, 4) gebrauchte Bild vom Rettungssanitäter mit der Rotkreuzbinde um den Arm erinnert werden.

Es scheint bei entsprechenden Anstrengungen also durchaus erreichbar zu sein, daß effektive konkrete Hilfe für in ihrem Lebensrecht bedrohte Kinder und Eindeutigkeit der kirchlichen Lehre miteinander verbunden werden können. Mit der ratsuchenden Frau kann dies im Beratungsgespräch gelingen, wenn die Beratung gemäß den Vorläufigen Bischöflichen Richtlinien vorgenommen wird. Immer wieder müssen die Beraterinnen - nicht zuletzt durch geistliche Begleitung - bestärkt werden, daß die Beratung auch in der vorgesehenen Weise wahrgenommen wird.

Dennoch läßt sich nicht übersehen, daß die lebenserhaltenden Normen in unserer Gesellschaft stets bedroht sind. Deshalb werden die mit Rechtsverbindlichkeit getroffenen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in einer Gesellschaft wie der unseren, in der die Anerkennung des unbedingten Lebensrechts ungeborener Kinder heftig umstritten ist, christlich gesehen immer Stückwerk bleiben und erhebliche Defizite aufweisen. Kann dies aber schon ein notwendiger und hinreichender Grund sein, die Chancen und Möglichkeiten, die eine solche Gesetzgebung ungeachtet ihres defizitären Charakters doch bietet, nicht wahrzunehmen? Oder ist dies ein Motiv, unter diesen Voraussetzungen mit noch verstärkter Kraft ein möglichst wirksames Zeugnis für die Achtung vor dem Leben des ungeborenen Kindes zu geben?

Ein Ausscheiden aus der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung gibt anderen Beratungsträgern die Möglichkeit, daß deren Positionen prägend werden, die nach aller Erfahrung oft sehr viel weniger deutlich für das Recht ungeborener Kinder eintreten. Außerdem beraubt sich die Kirche dann der Möglichkeit, durch Einwirkungsmöglichkeiten, die nur Trägern von Beratungsstellen offenstehen, auf die öffentliche und politische Meinungsbildung und insbesondere auch auf den Gesetzgeber hinsichtlich seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht Einfluß zu nehmen (vgl. III.2). Dies würde keinesfalls mehr Eindeutigkeit schaffen als die Beratung innerhalb eines ethisch spannungsvollen Schutzkonzeptes, eher weniger. Die kirchliche Beratung gibt hingegen die Möglichkeit, auf die Entwicklung des öffentlichen Rechts- und Unrechtsbewußtseins wenigstens in gewissem Umfang einzuwirken. Dadurch hätte die Beratung überhaupt, wie sie vom Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.05.1993 und vom Schwangerschaftskonfliktgesetz vom 21.08.1995 vorgesehen ist, die Chance, tendenziell besser ihr Ziel des Lebensschutzes zu erreichen. Es kann und darf der Kirche nicht gleichgültig sein, wie eine elementare Verfassungsnorm, das Recht auf Leben, in einer Gesellschaft verwirklicht wird. Die Verurteilung der Abtreibung ist nicht nur eine aus dem Glauben zu begründende "Sondermeinung", sondern eine absolut und universal gültige Naturrechtsnorm bzw. ein Grundwert, da die Abtreibung die obersten Werte des Lebens und der Menschenwürde verletzt. [ Vgl. Paul VI., Ansprache an westflandrische Ärzte am 23.04.1977, in: AAS 69 (1977), 281-283; Johannes Paul II., Enzyklika "Evangelium vitae", 25.05.1995, Art. 57-59, 62, 68-74.]

V. Nochmals: die Frage nach der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Zeugnisses
Es besteht kein Zweifel, daß die Kirche und die Christen alles tun müssen, um eine höchstmögliche Klarheit des Zeugnisses zu erreichen. Deswegen sind Entschiedenheit und mutiges Eintreten, offensive Argumentation und große Glaubwürdigkeit notwendig. Wir müssen jedoch die Frage der Reinheit und Klarheit des Zeugnisses auch aus der Sicht der Gesellschaft her sehen. Hier gibt es nochmals ein eigenes oder zusätzliches Problem der Glaubwürdigkeit. Wenn die Kirche nämlich nur im Prinzip und theoretisch die Hilfsbereitschaft für die Frauen und die ungeborenen Kinder zum Ausdruck bringt, also nur in allgemeiner Form die Notwendigkeit der Beratung fordert, fragen sich viele Menschen, wo denn im Ernst in unserer konkreten Gesellschaft, gerade an den Brennpunkten, diese oft erklärte Zeugnisbereitschaft realisiert wird. Wenn wir uns von dem konkreten Ort, wo über Leben und Tod entschieden wird, zurückziehen, kommen hier berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kirche auf. Der Verzicht auf die konkrete Nähe zu den Konfliktsituationen, wo es wirklich um Leben und Tod geht, mindert auf seine Weise die Glaubwürdigkeit. Dies gilt auch dann, wenn man die Gefahr der Verdunkelung des Zeugnisses für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes grundsätzlich höher einschätzt als die soeben genannte Einbuße an Glaubwürdigkeit.

Schließlich bleibt nochmals die Frage, wie es in unserer konkreten Gesellschaft um die "Eindeutigkeit" des Zeugnisses bestellt ist. Mißverständnisse, verzerrte Darstellungen und ideologischer Gebrauch gesetzlicher Bestimmungen sind nicht ein für allemal auszuschließen. Die Eindeutigkeit des Zeugnisses muß ohnehin immer erstritten werden, sie ist nicht ein für allemal lupenrein vorhanden. Wir dürfen uns nicht an einer Ethik orientieren, die an der bleibenden Anfälligkeit der Welt und ihrer Sündigkeit vorbeigeht. Das Konzil von Trient sagt in aller Deutlichkeit, daß diese Geneigtheit und Disposition zur Sünde (Konkupiszenz) aus der Sünde kommt und zur Sünde führt, aber selbst nicht Sünde ist (vgl. DH 1515, GS 13). Sie lebt auch noch im gerechtfertigten Menschen, und zwar nicht nur in der leiblichen oder gar sexuellen Dimension. Dies ist ein Strukturelement unserer Welt. Darum leiden wir - neben unserer Müdigkeit und Trägheit - auch oft an den Widerständen, die von außen auf uns zukommen, aber auch an der Schwierigkeit, positive Entscheidungen wirklich eindeutig durchzusetzen. Man darf die menschliche Freiheit und ihren Vollzug nicht dadurch überzeichnen, daß man diese Befangenheit im Bereich des Sündhaften faktisch leugnet. Darum ist die "Welt" auch keine neutrale Situation. Der Mensch steht immer unter dem Auftrag, seine Entscheidung für Gott gegen die vorgängigen Antriebe seiner selbst und seiner Situation durchzusetzen. Deshalb gibt es einen beständigen "Kampf", der nicht nur in der ethischen Anfälligkeit des einzelnen gesehen werden darf, sondern alles weltliche Tun des Christen und die damit zusammenhängenden Strukturen mitbestimmt. Konkret bedeutet dies auch, daß z.B. Freiheit und Gerechtigkeit immer auch als etwas erfahren werden, was in ihrer Vollendung noch aussteht, was durch gesellschaftliche Strukturen verhindert wird oder erst noch erkämpft werden muß. Die Gesellschaft ist immer wieder von diesem Zwiespalt zwischen dem, was moralisch geboten ist, und dem, was davon verwirklicht ist, tief geprägt (vgl. GS 25; 37; DH 4769, vgl. dazu auch Röm 7, bes. 7-25).

In einer sündhaften, der Anfälligkeit für das Böse ausgesetzten Welt muß das Handeln der Christen daher auch das Ziel verfolgen, das Unrecht einzudämmen und wenigstens das zu retten, was in einer objektiv unzureichenden Situation überhaupt noch zu retten ist. Entsprechend einer realitätsgerechten Einschätzung der gegebenen Möglichkeiten kann es dabei nicht nur vertretbar, sondern sogar moralisch gefordert sein, eine "Schadensbegrenzung" zu versuchen, welche die "negativen Auswirkungen (eines von der Kirche abgelehnten Gesetzes) auf das Gebiet der Kultur und der öffentlichen Moral vermindert" und dabei das Ziel verfolgt, die "ungerechten Aspekte zu begrenzen" [ Vgl. Enzyklika "Evangelium vitae", Nr. 73.]. Vor einer solchen Überlegung, wie sie Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Evangelium vitae" für den Gewissenskonflikt katholischer Abgeordneter ausdrücklich anerkennt, stehen oftmals auch die Angehörigen anderer Berufsgruppen, die ihre professionellen Aufgaben in einer von der "Kultur des Todes" geprägten Gesellschaft aus christlicher Verantwortung erfüllen wollen.

Dies zu erkennen, heißt noch nicht Zustimmung. Es bedeutet nicht Einwilligung in irgendeine Form der Resignation: kein Sichabfinden mit bestimmten Zweideutigkeiten und Kompromissen. Andererseits ist es ein Zeichen des spirituellen und ethischen Realismus, bleibenden Gefahren und Anfälligkeiten deutlich ins Auge zu sehen. Solange die Menschheit existiert, wird es die Versuchung zur Vernichtung nichtgewollten menschlichen Lebens geben. Alle Versuche, diesen Bereich zu ordnen, müssen auch davon ausgehen, daß es hier grundsätzlich keine "glatten" Lösungen geben kann, die keine Probleme mehr zurücklassen. Der ganze Bereich wird ethisch und rechtlich bei dieser Unvermeidbarkeit der gegebenen Situation nur so etwas wie eine "Notordnung" bilden können, denn es soll ja etwas geordnet werden, was grundsätzlich nicht sein darf. In diesem Sinne wird es bei allen Bemühungen wohl nie um eine allseits befriedigende Lösung gehen können. Alle Lösungen haben, wenn man ehrlich ist, die Spuren einer Notordnung an sich, die theologisch mit der Konkupiszenz und der Sünde zusammenhängt. Aber die entstandenen Strukturen und Verhaltensweisen sind kein tragisches Verhängnis, in das man hilflos hineingebunden ist. Gesellschaft und Staat tragenVerantwortung für sie und können sie ändern. Daran muß die Kirche unaufhörlich erinnern.

Wenn wir keine Lösungen wollen, die trickhaft erscheinen oder die Probleme nur verschieben, taktisch gedacht und am Ende unglaubwürdig wären, so müssen wir wohl auch mit derselben Deutlichkeit sagen, daß es keine Lösung geben wird, die frei von jedem Makel oder jedem Anschein eines Makels ist. Die verschiedenen Lösungsmodelle, die behandelt worden sind (vgl. oben III.1-4), zeigen dies jeweils auf ihre Weise in aller Deutlichkeit. Der Hl. Thomas mahnt uns hier bei allem entschiedenen Willen zu Klarheit und Festigkeit vor einem bedenklichen Perfektionismus, der das konkret Erreichbare geringzuschätzen in Gefahr ist, wenn er den Hl. Augustinus zitiert: "Dieses Gesetz, das zur Leitung der Gemeinwesen gegeben wird, erlaubt vieles und läßt vieles unbestraft, was durch die göttliche Vorsehung geahndet wird ... Aber weil es nicht alles zuwege bringt, deswegen braucht das, was es tatsächlich leistet, nicht verworfen zu werden." [ Thomas von Aquin, Summa Theologica, I-II, qu. 96, art. 2 ] Freilich gilt dies nicht für die Tötung selbst.

Auf jeden Fall wäre es ein schwerer Verlust für den Schutz des ungeborenen Kindes und auch für die schwangere Frau, aber auch für die Gesellschaft und für die Kirche, wenn schwangere Frauen, die in schwersten Konflikten stehen und darunter leiden, die notwendige Hilfe verweigert würde, Ärzten die Möglichkeit beschnitten würde, ihre Patientinnen einer für diese Fälle sehr kompetenten Beratung zuzuführen und der Gesellschaft ein Vorwand gegeben würde, diesen Konflikt um das Lebensrecht des ungeborenen Kindes sowohl im Bewußtsein der Gesellschaft selbst wie auch in jeder einzelnen Frau weniger ernstzunehmen.

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