| Pressemeldung

Begrüßungsansprache von Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, anlässlich des St. Michael-Jahresempfangs des Kommissariats der deutschen Bischöfe am 4. November 2002 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!
Hochverehrter Herr Bundespräsident, sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, sehr geehrter Herr Minister, verehrte Damen und Herren Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, Mitglieder des Deutschen Bundestages, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, besonders Herr Kardinal Sterzinsky, sehr geehrte Exzellenzen und Botschafter, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste!
Am 29. September hat die Kirche das Fest des heiligen Erzengel Michael gefeiert. Erst heute, mehr als fünf Wochen später, findet unser traditioneller St. Michaelsempfang statt. Die Erklärung für diese ungewöhnlich lange Distanz zwischen unserem Empfang und dem Fest seines Namensgebers ist einfach: wir wollten schlicht abwarten, bis sich die Wogen des Wahlkampfs wieder geglättet hatten und die Politik nach den Koalitionsverhandlungen, der Regierungsbildung und der Neukonstituierung des Deutschen Bundestages wieder in geordneteren Bahnen ist, auf dass um so mehr Gäste Zeit und Muße finden würden, zu uns zu kommen. Es erfüllt mich darum mit Dankbarkeit und Freude, dass Sie heute Abend in so großer Zahl den Weg zu uns gefunden haben. Ich begrüße Sie alle auf das Herzlichste und danke Ihnen für Ihr Erscheinen.
Wir haben schon seit Jahrzehnten den Brauch, dass wir beim Michaels-Empfang das Thema "Europa" in die Mitte stellen und dabei im Lauf der Jahre und Jahrzehnte kirchliche Vertreter unserer Nachbarländer bitten, aus ihrer Perspektive zur Einigung Europas einige Worte an uns zu richten. So konnten wir im Laufe der Zeit nicht nur sehr unterschiedliche Perspektiven, sondern auch viele verantwortliche Persönlichkeiten der katholischen Kirche kennen lernen. Viele sind nicht mehr am Leben, andere haben ihren Dienst beendet, wie z.B. der unvergessliche Carlo Cardinal Martini aus Mailand. Wir haben dabei den Begriff des Nachbarn etwas weiter genommen und auch Kardinäle und Bischöfe aus Ländern eingeladen, mit denen wir nicht unmittelbar gemeinsame Grenzen haben, aber doch in verschiedener Weise eng verbunden sind.
Beim Betrachten der verschiedenen Einladungen fiel mir auf, dass wir noch nie einen Vertreter der sogenannten Katholischen Ostkirchen eingeladen hatten und nicht danach gefragt haben, wie sie das vielgestaltige, zusammenwachsende Europa sehen und was für einen Beitrag gerade sie dazu leisten könnten. Dabei darf ich daran erinnern, dass das Zweite Vatikanischen Konzil ein eigenes "Dekret über die katholischen Ostkirchen" verabschiedet hat, das wir weitgehend vergessen haben. Dies ist der Hintergrund, warum ich mit Ihnen heute Abend Herrn Kardinal Lubomyr Husar, Großerzbischof aus Lemberg, in der Ukraine begrüßen und Ihnen bald noch näher vorstellen darf zusammen mit seinem Begleiter und Vertreter in der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prälat Dacko.
Mit besonderer Herzlichkeit begrüße ich Sie, hochverehrter Herr Bundespräsident. Als oberster Repräsentant unseres Staates nehmen Sie auf eine sehr persönliche, das Versöhnende hervorhebende und dabei doch sehr entschiedene Art wesentlichen Einfluss auf unser Gemeinwesen und prägen die politische Kultur nachhaltig mit. Mit Ihrem Wort finden Sie auch und gerade bei den Kirchen aufmerksame Hörer, ich denke beispielweise an Ihre Ansprache in Bonn zum 40-jährigen Jubiläum der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung im vergangenen September. Ihre Anwesenheit ist für uns eine besondere Ehre.
Nach den Wahlen hat sich der Deutsche Bundestag inzwischen für die Arbeit in der 15. Legislaturperiode gerüstet. Ich begrüße Sie, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Thierse, ganz herzlich und gratuliere Ihnen zugleich auch an dieser Stelle zu Ihrer Wiederwahl. Mit Ihnen begrüße ich alle anwesenden Mitglieder des Deutschen Bundestages, namentlich die Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Frau Dr. Merkel, zugleich auch als Bundesvorsitzende der CDU, und den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Dr. Gerhardt, Ihnen allen, insbesondere auch den neuen Mitgliedern des Deutschen Bundestages, wünsche ich bei Ihrer verantwortungsvollen Arbeit für das Wohl unseres Landes viel Glück und Gottes Segen.
Die Politik steht in nahezu allen Bereichen vor sehr schwierigen Herausforderungen. Der wirtschaftliche Aufschwung lässt offenbar auf sich warten, der Abbau der Arbeitslosigkeit und die Stärkung der sozialen Sicherungssysteme erfordern besondere Anstrengungen, manche Fragen des Lebensschutzes sind ungelöst. Der europäische Einigungsprozess, die Herausforderungen der Globalisierung und eine Friedenssicherung, die sich nicht auf Europa beschränkt, sind weitere Themen der politischen Agenda. Ich würde mir sehr wünschen, wenn ungeachtet aller notwendigen politischen Auseinandersetzungen um die besten Lösungen bei der Inangriffnahme der konkreten Gestaltungsprobleme unserer Gesellschaft ein möglichst hohes Maß an Gemeinsamkeit mindestens in den Grundüberzeugungen und Grundwerten angestrebt und erreicht würde. Die Kirche wird dazu gerne ihren Beitrag leisten.
Ganz herzlich heiße ich Sie, verehrter Herr Bundesminister Schily, willkommen und grüße mit Ihnen zusammen die anwesenden Damen und Herren Parlamentarischen Staatssekretäre, Staatssekretäre sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Bundestagsverwaltung und den Ministerien.
Ganz herzlich heiße ich unseren Altbundespräsidenten, Herrn Dr. Richard von Weizsäcker, in unserer Mitte willkommen. Ich danke Ihnen zugleich für das Zeichen ihrer Verbundenheit mit uns, die Sie mit Ihrer Anwesenheit zum Ausdruck bringen.
Ebenfalls begrüße ich ganz herzlich die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrats und der Bundesländer und die vielen Repräsentanten aus Staat und Verwaltung. Ich freue mich, dass viele Vertreterinnen und Vertreter aus den Parteien, Verbänden, Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften, gesellschaftlichen Gruppen sowie den Medien unter uns weilen. Ich begrüße Sie alle aufs Herzlichste. Namentlich heiße ich willkommen den Präsidenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Herrn Prof. Meyer, und mit ihm alle Vertreterinnen und Vertreter der kirchlichen Verbände.
In ökumenischer Verbundenheit begrüße ich ganz herzlich den Bevollmächtigten des Rates der EKD, Herrn Prälaten Dr. Reimers, und alle Repräsentanten der christlichen Kirchen. Mein besonderer Willkommensgruß gilt ebenfalls dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Herrn Dr. Friedman. Ich begrüße die vielen ausländischen Gäste, darunter Botschafter aus der ganzen Welt.
Mein Gruß gilt allen Repräsentanten und Vertretern der Kirche, der kirchlichen Werke und Einrichtungen, besonders begrüße ich meinen Mitbruder Georg Kardinal Sterzinsky, Erzbischof von Berlin.
Es ist mir nun eine besondere Freude, den Großerzbischof von Lemberg, Lubomyr Kardinal Husar, als Ehrengast des heutigen Abends näher vorstellen zu dürfen. Dies ist auch deshalb notwendig, weil die kirchliche Situation der Ukraine sogar für die Insider nicht so leicht zu überblicken ist. Es gibt allein drei verschiedene orthodoxe Gruppen bzw. Kirchen. Die größte Kirche ist die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie hat 31 Eparchien mit rund 8.000 Gemeinden, die sich relativ gleichmäßig auf die West-, die Zentral- und die Ostukraine verteilen. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine hat sich ein Teil der orthodoxen Kirche abgespalten und die Ukrainische Orthodoxe Kirche-Kiewer Patriarchat derzeit 2.500 Gemeinden gebildet. Die im Exil bzw. im Untergrund überlebte 1921 gegründete Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche mit rund 1.000 Gemeinden wurde nach 1990 wieder in der Ukraine aktiv. Die beiden zuletzt genannten Kirchen sind von der Weltorthodoxie (Moskauer Patriarchat, Patriarchat Konstantinopel) freilich nicht anerkannt und gelten als nicht kanonisch.
Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche - also die Katholische Ostkirche in der Ukraine - lebt heute vorallem auf dem Territorium der Westukraine. Ein wichtiger Einschnitt in der langen Geschichte ist die Union der ruthenischen Kirche mit Rom auf der Synode von Brest im Jahr 1595/1596. Sie konzentriert sich auf heute neun Diözesen. In der Westukraine ist sie - wie gesagt - die Mehrheitskirche. Dies gilt besonders für die sieben galizischen Diözesen. So leben ca. 6 Millionen in ca. 3.100 Gemeinden. Dies sind in diesem großen Land mit ca. 50 Millionen Einwohnern etwa zehn Prozent. Es ist die zahlenmäßig größte Katholische Ostkirche, also eine Kirche, die in ihrer slawischen Liturgie, in der Frage der Priesterehe und ihrer hierarchischen Struktur dem byzantinischen Erbe treu geblieben ist, aber den Primat des Papstes anerkennt.
Es ist eine Kirche, die gerade im vergangenen Jahrhundert eine große Leidensgeschichte erfahren musste. Sie wurde mehrfach verboten. Zwischen den Weltkriegen konnte sie nur in Polen und in der Tschechoslowakei weiter existieren. Mit der sowjetischen Besetzung dieser Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg begann die gewaltsame "Reunion" der Ukrainisch-Katholischen Kirche mit der Russisch-Orthodoxen Kirche auf der illegalen Synode von Lemberg 1945/46. Obwohl nur zwei Bischöfe dem Tod in sowjetischen Lagern entkamen, gelang es den Sowjets nicht, das kirchliche Leben der Ukrainisch-Katholischen Kirche zu ersticken. Sie lebte als Untergrundkirche und vor allem im Exil weiter. 1989 wurde die Kirche wieder offiziell zugelassen. Fast nebenbei sei noch bemerkt, dass es auch eine katholische Kirche des lateinischen Ritus mit sieben Diözesen, ungefähr 800.000 Gläubigen in 800 Gemeinden gibt, die Erzbischof Kardinal Marian Jaworski leitet. Ein Höhepunkt für das Land und besonders die Kirchen war der Papstbesuch des Jahres 2001.
Die Ukraine ist ein sehr großes und im Blick auf Naturschätze reiches Land, das ganz gewiss in Zukunft politisch, aber auch wirtschaftlich und kulturell eine große Rolle spielen wird. Die Außenpolitik ist auf eine Annäherung auf die der EU hin bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Russland orientiert.
Wir haben viele Austauschmöglichkeiten. Unser Caritasverband hat die Caritasstrukturen gefördert. Die Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken, Renovabis, hat - wie auch Kirche in Not/Ostpriesterhilfe - die Wiedererrichtung pastoraler Strukturen der katholischen Kirche unterstützt. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Ausbildung einheimischer Priester. Auch die ehemaligen Untergrundpriester müssen fortgebildet werden. Es geht aber auch um Hilfe für die Kinder- und Jugendpastoral und um die Ausbildung von Laienkatecheten und Lehrern.
Kardinal Husar ist Großerzbischof von Lemberg als das geistliche Oberhaupt der Griechisch Katholischen Kirche in der Ukraine. Er spiegelt in seinem eigenen Leben die schon erwähnte Leidensgeschichte seiner Kirche wieder. Er wurde 1933 in Lemberg geboren und wurde Mönch in der Ordensfamilie der Studiten. Er hat einen großen Teil seines Lebens in anderen Ländern verbracht, in Österreich, den USA und nicht zuletzt in Italien, dort als Professor. Er ist im Jahr 1977 von Kardinal Slipyi geheim zum Bischof geweiht worden, was erst im Jahre 1996 öffentlich anerkannt und bestätigt worden ist. Im Jahre 2001 wurde er Großerzbischof und unmittelbar danach Kardinal.
Europa lebt nicht nur vom lateinischen Christentum. Immer wieder spricht der Papst davon, Europa habe mit dem Christentum des Ostens und des Westens zwei Lungenflügel, mit denen es atme. Wir kennen oft nur unsere eigene westliche Kultur. Dann sollten wir uns einmal sagen lassen, was gerade auch die Katholischen Ostkirchen zu diesem Europa beitragen können.
Herr Kardinal Husar, wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Ich bitte Sie um Ihr Wort.

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