| Pressemeldung

Begrüßung und thematische Hinführung im Ökumenischen Gottesdienst anlässlich der bundesweiten Eröffnung der Woche für das Leben 2003 am 3. Mai 2003 in der Ordenskirche St. Georg in Bayreuth

Karl Kardinal Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort!
Auch im Namen des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, darf ich Sie hier in Bayreuth zur bundesweiten Eröffnung der Woche für das Leben sehr herzlich begrüßen. Es ist das dreizehnte Mal, dass wir diese Woche für das Leben miteinander durchführen. Begonnen hat die Woche für das Leben von katholischer Seite aus. Es war uns klar geworden, dass wir den Schutz des Lebens des ungeborenen Kindes nur dann besser gewährleisten können, wenn wir uns auch um die anderen Dimensionen des Lebensschutzes intensiver sorgen. So haben wir uns im Lauf der Jahre eingesetzt für eine kinderfreundliche Gesellschaft, für die Wertschätzung des Lebens im Alter, für Menschen mit einer Behinderung, für die Hilfe von Sucht betroffener Menschen, für ein menschenwürdiges Sterben, für die Annahme des Lebens statt einer Auswahl, für den besonderen Schutz von Ehe und Familie, für die Bewahrung der Schöpfung und den Umweltschutz, für die ethischen Ressourcen, die zum Lebensschutz notwendig sind, und für die bioethischen Probleme unserer Tage.

So haben wir, gerade auch durch die gemeinsam veranstaltete Woche, viel Gehör gefunden und können die Menschen für die Fragen des Lebensschutzes sensibel machen. Die Woche für das Leben 2003 möchten wir zum Anlass nehmen, um über Chancen und Grenzen des medizinischen Fortschritts ins Gespräch zu kommen. Die vielen Veranstaltungen in den Gemeinden, Diözesen und Landeskirchen, Verbänden und Bildungseinrichtungen verstehen sich als Forum des Austausches und als klare Meinungsäußerung der Kirchen.

Die medizinische Forschung hat beachtliche Fortschritte erzielt. Studien, Forschungsvorhaben und Zukunftsvisionen in Medizin und Pharmazie haben große Hoffnungen geweckt: Chancen für den Schutz und die Bewahrung menschlichen Lebens, für die Heilung und Linderung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Menschen. Dennoch können die Leistungen der Wissenschaft und auch die damit verbundenen Hoffnungen die Risiken nicht überdecken. Wir spüren die Verletzlichkeit des Lebens.

Leben ist Gabe und Aufgabe zugleich. Es ist ein Geschenk und doch stellt es den Menschen vor die Herausforderung, nach seinen Möglichkeiten dieses Leben zu entfalten und zu gestalten. Gesundheit an Leib und Seele ist ein wichtiger Faktor dieser Entfaltung. Dabei gehen wir oft mit der Gesundheit nicht nur nachlässig um und rufen nach Prävention, sondern wir nehmen sie auch ganz selbstverständlich. Die Krankheit erscheint als das Störende und das Gefährliche. In diesem Sinne ist die Krankheit das Aufdringliche. Aber das, was uns viel mehr auffallen sollte, ist das Wunder der Gesundheit, die keineswegs selbstverständlich ist. So hat man mit Recht von der Verborgenheit der Gesundheit gesprochen. Hier darf man an ein berühmtes Wort des griechischen Denkers Heraklit erinnern, wenn dieser sagt: "Die verborgene Harmonie ist immer stärker als die offenkundige." Wenn wir die Gesundheit wiedergewinnen, dann verstehen wir wieder mehr von ihrem Wunder und ihrem Geheimnis. In der Verborgenheit der Gesundheit liegt auch ihre Geborgenheit.

Freilich bleibt das menschliche Leben zerbrechlich. Schon beim Psalmisten des Alten Testaments kann man es lesen: "Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin." (Ps 103,15f) Trotz allen medizinischen Fortschritts scheint sich nichts Grundsätzliches geändert zu haben: Von heute auf morgen kann das Leben zerstört oder unumkehrbar beeinträchtigt sein. Leid kommt über die Menschen, ohne dass die moderne Medizin mit all ihrer Kunst dagegen etwas ausrichten kann.

Hier Selbstvertrauen, Hoffnung und Zuversicht angesichts der Möglichkeiten, die sich aus dem eigenen Tun und Können eröffnen. Dort Machtlosigkeit und enge Grenzen, die bewusst machen, wie sehr das Leben des Menschen eben doch unverfügbares Geschenk ist.

"... und mittendrin leben", so lautet das Motto dieses Ökumenischen Gottesdienstes zur Eröffnung der Woche für das Leben 2003. "... und mittendrin leben" will sagen: Mittendrin zwischen diesen Hoffnungen und Ängsten, zwischen diesen Chancen und Grenzen, die das menschliche Handeln und den medizinischen Fortschritt im besonderen kennzeichnen.

"...und mittendrin leben", darin besteht die eigentliche Aufgabe: Das Leben angesichts dieser Chancen und Grenzen zur Entfaltung zu bringen. Dabei ist es mit dem bloßen biologischen Leben natürlich nicht getan. Es geht darum, Leben als sinnvollen Zusammenhang, als wirkliche Ganzheit mit Leib und Seele zu entfalten. " ... und mittendrin leben" ist so gesehen nicht nur als quantitative, sondern als qualitative Aufgabe zu verstehen. Mit dem großen Philosophen Aristoteles kann man auch sagen: Mittendrin zwischen Chancen und Grenzen ist es wichtig für uns Menschen, nicht nur zu leben, sondern gut zu leben und gut zu handeln.

Weil es aber darum geht, gut zu leben, kann es nicht gleichgültig sein, welche Methoden zur Unterstützung und Erhaltung dieses guten Lebens eingesetzt werden. Sei es in der Forschung oder in der Anwendung: Methoden, die zuerst Leben "verbrauchen", die das Leben der einen auf Kosten des Lebens anderer auswählen oder die menschliches Leben zum verzweckten Objekt machen, eignen sich nicht zur Förderung des guten Lebens. Wer Leben als wertorientierten Gesamtzusammenhang entfalten will, wer so in seinem Leben das Gute suchen und nach Kräften verwirklichen will, der muss sich überlegen, ob er auch mit den Methoden, die er anwendet, noch gut leben kann. Deswegen kommt es darauf an, die ethischen Grenzen beim Handeln nicht zu verletzen. Letztlich kommt in dieser Anerkennung ethischer Grenzen zum Ausdruck, dass Menschen sich gegenseitig nicht verzwecken dürfen, weil sie im Guten aufeinander verwiesen sind.

Wir brauchen uns gegenseitig zum guten Leben. Deswegen müssen auch im Hinblick auf die ökonomischen Grenzen medizinischen Fortschritts Möglichkeiten gesucht werden, die allen gerecht werden. Eine Medizin, die es aus Kostengründen mit den einen weniger gut meint als mit den anderen, kann keine zufriedenstellende Lösung dieses Problems sein. Das böse Wort von der "Zweiklassenmedizin" ist eine echte Mahnung.

Weil der Mensch den Menschen braucht und weil er ihn gerade dann besonders braucht, wenn er durch Leid und Krankheit geht, ist eine Kultur der Mitmenschlichkeit gefragt. Die Hilfe, die die Medizin heute leisten kann, muss eingebettet sein in eine Hilfe für den ganzen Menschen. Pflege und Seelsorge, Beratung und Begegnung sind unabdingbar, damit es gelingt, "mittendrin gut zu leben".

Wenn wir uns als Christen zum Gottesdienst versammeln, so wie wir das heute hier in Bayreuth in ökumenischer Gemeinschaft tun, dann besinnen wir uns zurück auf unseren Herrn. Er ist es, der uns die Kraft für diese Herausforderungen des Lebens gibt. Er gibt uns vor all unserem Tun die eigentliche Würde, nämlich Bild Gottes zu sein. Wir erteilen nicht dem Menschen sein Lebensrecht. Die Anerkennung kommt längst von ihm. Wir wissen aber auch, dass wir verletzlich und sterblich bleiben. So gehört zu unserem Leitwort "...und mittendrin leben", wenn wir ehrlich sind, ein altes Lied, dessen heutige Fassung wir Martin Luther verdanken, der es 1524 im Anschluss an lateinisches Liedgut, näherhin eine Antiphon "Media vita in morte sumus", aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts unvergesslich und unersetzlich unserer Sprache und Kultur geschenkt hat. Wir kennen alle dieses Lied: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen ...". Luther will damit uns ein Doppeltes sagen: Die allzu sicheren Menschen sollen geschreckt, die Erschreckten sollen ermutigt werden. Die Osterzeit erinnert uns durch den Glauben an Jesu Christi Auferstehung daran, dass der Tod unwiderruflich seinen Stachel verloren hat und bei aller Angst vor dem Sterben keine letzte Bedrohung mehr ist, die uns in einen Abgrund reißt. Wir feiern Jesus Christus als den, der sich den Kranken und Gebeugten zuwandte und der selbst durch Leid und Tod hindurchging. In österlicher Hoffnung schauen wir auf ihn und tragen unser Leben vor ihn hin. Die Stimme des Evangeliums richtet uns dabei immer wieder auf, wenn wir an unsere Endlichkeit und Sterblichkeit, an unsere Verwundbarkeit und an unsere Grenzen erinnert werden.

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