| Pressemeldung | Nr. 023a

Aktuelle Fragen des Ausländerrechts und der Zuwanderungspolitik

Pressegespräch am 7. März 2006 in Berlin – Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort!

Am 1. Januar 2005 ist das Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten, dem Jahre manchmal harten politischen Ringens vorangegangen sind. Es ist gewiss noch nicht an der Zeit, umfassend Bilanz zu ziehen, wohl aber lassen sich bereits heute gewisse Tendenzen in der Umsetzung dieses Gesetzes erkennen, die die kritische Aufmerksamkeit auch der Kirche erfordern. Dies gilt auch für weitere aktuelle Entwicklungen im Bereich der Migrationspolitik. So hat das Bundesinnenministerium den Referentenentwurf für eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorgelegt, d. h. die politische Debatte über eine erste Novellierung des Zuwanderungsgesetzes hat begonnen. Dabei nimmt auch die Europäische Union mit ihrer Richtlinie zur Aufnahme von Flüchtlingen Einfluss auf das Ausländer- und Zuwanderungsrecht in Deutschland. All dies ist für die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz Grund genug, sich in diesen Tagen intensiv auch mit aktuellen Fragen der Migrationspolitik auseinanderzusetzen. Manches verfolgen wir mit großer Sorge.

I.
Es ist immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich das Engagement der Kirche in diesem Bereich aus sehr konkreten Erfahrungen speist. Die Sozial- und Migrationsdienste der Caritas (ich erwähne hier beispielhaft das neu eröffnete Migrationszentrum in Marzahn-Hellersdorf), Projekte wie die Malteser Migranten Medizin, die sich etwa in Berlin um die gesundheitliche Versorgung von illegalen Zuwanderern kümmert, die muttersprachlichen Gemeinden oder auch die Gefängnisseelsorger, die sich der Menschen in Abschiebehaft annehmen – all diese Beispiele zeigen, dass die Kirche in Fragen der Migration nicht ins Blaue hinein redet. Wir wissen, wovon wir sprechen, weil wir mit unseren vielfältigen Diensten nahe bei den Ausländern und Zuwanderern sind – und weil wir deshalb auch die Konflikte kennen, die im Zusammenleben zwischen Einheimischen und Migranten immer wieder entstehen.

Entgegen manchen Vorurteilen, die in Teilen der Öffentlichkeit gepflegt werden, ist die Kirche wegen ihrer konkreten Erfahrungen auch vor einer blauäugigen „Fremdenfreundlichkeit“ gefeit. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass unser Land die Herausforderungen und Schwierigkeiten einer Migrationsgesellschaft nicht besteht, wenn wir sozusagen aus einer Angststarre heraus und mit Abwehrreflexen darauf reagieren. Deshalb hat die Bischofskonferenz in der Diskussion über das neue Zuwanderungsgesetz so nachdrücklich darauf insistiert, endlich anzuerkennen, dass Deutschland seit Jahrzehnten faktisch zu einem Einwanderungsland geworden ist. Denn der durch Migration entstandenen neuen gesellschaftlichen Realität kann nur gerecht werden, wer diese Wirklichkeit akzeptiert und politisch gestaltet. Dabei müssen stets sowohl die Interessen der einheimischen wie der zugewanderten Bevölkerung ernst genommen und berücksichtigt werden.

Für die Kirche ist darüber hinaus ein zweiter Grundgedanke wesentlich: Humanitäre Standards und die zentralen Rechte der Betroffenen dürfen in der Ausländer- und Migrationspolitik nicht hintangestellt werden. Wie in vielleicht keinem anderen Politikbereich lauert diese Gefahr, weil die Menschen, um die es geht, keine wirkliche Lobby für ihre Interessen aufbauen können. Sie sind nicht etabliert, sondern Fremde. Deshalb ist ihre Lage immer in besonderer Weise prekär, und sie sind angewiesen auf die Unterstützung anderer. Zu dieser Hilfe weiß sich die Kirche herausgefordert, weil es zu ihrem Grundauftrag gehört, denen nahe zu sein, die anderen fremd bleiben, und denen eine Stimme zu geben, die sich im Konzert der öffentlichen Meinung kein ausreichendes Gehör verschaffen können.

II.
Vor diesem Hintergrund sehen wir manche politischen Entwicklungen der letzten Monate mit sehr gemischten Gefühlen, teilweise auch mit großer Sorge. Dennoch sollen - und darauf will ich zunächst den Blick lenken – einzelne positive Tendenzen nicht verschwiegen werden.

So haben wir uns gefreut, dass der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD einen Prüfungsauftrag im Hinblick auf die Situation der illegal in Deutschland lebenden Menschen formuliert hat. Auch wenn bekannt ist, dass es von solchen Prüfungsvorhaben bis zu konkreten politischen Maßnahmen meistens ein außerordentlich langer Weg ist, der oft auch zu gar keinen Ergebnissen führt, sehen wir in den Hinweisen des Koalitionsvertrages doch ein Zeichen wachsender Sensibilität für die Handlungserfordernisse in diesem Bereich. Schätzungen zufolge, leben in Deutschland zwischen 500.000 und einer Million so genannte „Illegale“, also Personen ohne regulären Aufenthaltsstatus. Wie kann dafür Sorge getragen werden, dass sie im Notfall Gesundheitsversorgung erhalten, dass der Nachwuchs Kindergarten und Schule besuchen kann, dass „Illegale“ nicht rechtlos gestellt sind, wenn Arbeitgeber sie um den Lohn prellen oder unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausliefern? Und schließlich: Wie können Menschen, die sich ehrenamtlich oder professionell um die soziale Lage irregulärer Zuwanderer bemühen, wirkungsvoll vor Strafe geschützt werden? Um es klar zu sagen: Niemand von uns will das Problem illegaler Zuwanderung bagatellisieren oder solche Migration gar ermutigen. Aber die betroffenen Menschen gehen wegen des fehlenden Aufenthaltsrechts nicht zugleich auch ihrer unveräußerlichen Menschenrechte verlustig. Hilfe für ein menschenwürdiges Leben darf ihnen darum nicht versagt werden. Dass auch bei den Regierungsparteien zu diesen Fragen neue Töne zu vernehmen sind, erfüllt uns mit einer gewissen Hoffnung.

Ähnliches lässt sich für die Berücksichtigung der Religionsfreiheit im Flüchtlingsschutz sagen. Ausländerbehörden und Gerichte haben in den vergangenen Jahren zunehmend die Auffassung vertreten, dass eine religiöse Verfolgung schon dann nicht vorliegt, wenn jemand im eigenen Haus an der Ausübung des Glaubens nicht gehindert wird. Dem Recht des öffentlichen Glaubensbekenntnisses wurde bei der Entscheidung über Asylgewährung oder Nicht-Abschiebung immer weniger Bedeutung zugemessen. Konkret läuft dies dann darauf hinaus, dass Ausländer, die in Deutschland zum Christentum konvertiert sind, in Länder wie den Iran abgeschoben werden, wo sie allenfalls verschwiegen ihren Glauben praktizieren können. Dieser außerordentlich problematischen Rechtsentwicklung wird nun künftig durch die Richtlinie der Europäischen Union zur Anerkennung von Flüchtlingen entgegengewirkt. Ausdrücklich anerkennt diese den Schutz der öffentlichen Religionsbetätigung - eine Bestimmung, die auch für Deutschland verbindlich wird. Wir erwarten und fordern mit Nachdruck, dass sie auch in der hiesigen Rechtsprechung ohne Abstriche zur Geltung gebracht wird.

III.
Neben diesen positiven Entwicklungen müssen wir jedoch vor allem manche fragwürdigen Tendenzen beobachten.

Nach der gesellschaftlichen Debatte um das Zuwanderungsgesetz hatten viele - auch die Kirchen – einen Perspektivwechsel von einer fast ausschließlich auf Abwehr ausgerichteten Haltung hin zu einem konstruktiveren und pragmatischeren Umgang mit den Phänomenen der Migration erhofft. Neben Fortschritten bei einer zielgerichteten Integration von Zuwanderern waren und sind dabei für uns Verbesserungen im humanitären Bereich von zentraler Bedeutung. Tatsächlich müssen wir 15 Monate nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes feststellen, dass in die Auslegung und Umsetzung des Gesetzes eine zunehmend restriktive Tendenz Einzug gehalten hat. Unsere Migrationsdienste und Sozialverbände berichten von einer verschärften Abschiebepraxis, die humanitären Belangen manches Mal wenig Rechnung trägt und selbst solche Menschen erfasst, die sich bereits gut in die deutsche Gesellschaft integriert haben. Auch die Bischöfe werden immer wieder mit dramatischen Fällen konfrontiert und verzweifelt um Hilfe gebeten.

Auch die geplante Reform des Zuwanderungsgesetzes wirft an einigen für uns zentralen Punkten große Probleme auf. Vor allem gilt das für die beabsichtigte Neuregelung des Nachzugs von ausländischen Ehegatten nach Deutschland. Die geplante Heraufsetzung des Nachzugsalters auf 21 Jahre und die Verpflichtung des Nachziehenden, bereits vor der Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen, sind unseres Erachtens mit dem Schutz von Ehe und Familie kaum in Einklang zu bringen.

Ein Thema, dessen Behandlung dringlich wäre, fehlt in den aktuellen Reformplänen bislang gänzlich: eine Bleiberechtsregelung für Menschen, die bereits seit Jahr und Tag mit immer wieder nur kurzfristig verlängerter Duldung in Deutschland leben. Sowohl unter integrationspolitischen als auch unter humanitären Gesichtspunkten ist es fragwürdig, dass in diesem Bereich immer noch keine tragfähige Lösung zustande kommt. Entsprechende Initiativen sind bislang am Widerstand der Innenministerkonferenz gescheitert. So besteht das System der Ketten-Duldungen weiter fort. Die dadurch entstehende Situation ist aus unserer Sicht zunehmend unerträglich.

Wir möchten Ihre Aufmerksamkeit des Weiteren auch auf die Regelungen zur Verhängung und Durchführung von Abschiebehaft richten. Schon 1995 hat die Bischofskonferenz kritisiert, dass Abschiebehaft „zu schnell, zu häufig und zu lange beantragt und verhängt wird ...“ und dringend eine kritische Überprüfung angemahnt. Hier ist bis heute nichts passiert, obwohl die rot-grüne Bundesregierung bereits 1998 angekündigt hatte, die gesetzlichen Grundlagen dieser Haft auf den Prüfstand zu stellen. Die neue Regierung plant nun sogar weitere Verschärfungen: So sollen die Ausländerbehörden ermächtigt werden, auch ohne richterlichen Beschluss Menschen festzunehmen. Dabei sind die Bedingungen in der Abschiebehaft mitunter kaum vertretbar. Viele Berichte zeigen: Menschen werden hier mehr belastet, als dies aufgrund der Umstände erforderlich wäre.

IV.
Weihbischof Dr. Voß wird zu all diesen Problembereichen gleich Näheres ausführen. Wie immer man dabei den einen oder anderen Punkt beurteilen mag - in jedem Falle bleibt die grundsätzliche Beobachtung, dass die positive und zukunftsgerichtete Dynamik, die der Migrationspolitik mit dem Zuwanderungsgesetz gegeben werden sollte, heute bereits wieder in Frage gestellt wird. Restriktive Gesetzesauslegungen, eine mangelnde Großzügigkeit bei der Bereinigung lange angestauter Probleme und Gesetzesverschärfungen zu Lasten von Migranten – dies alles entstammt nicht dem Geist, aus dem heraus das Zuwanderungsrecht erneuert werden sollte. Nicht zuletzt wird dadurch der gesellschaftliche Konsens gefährdet, der dem Zuwanderungsgesetz zugrunde lag und der durch dieses Gesetz weiter gefestigt werden sollte. Es wäre niemandem geholfen – den Einheimischen nicht und nicht den Zuwanderern –, wenn sich unser Land migrationspolitisch erneut in jene Sackgassen hineinbewegte, die es gerade erst mühsam verlassen hat.


Hinweise auf kirchliche Dokumente

„...und der Fremdling, der in deinen Toren ist“. Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht, herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, Bonn / Hannover 1997

„Leben in der Illegalität in Deutschland –  eine humanitäre und pastorale Herausforderung“. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001

„Integration fördern - Zusammenleben gestalten“. Wort der deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten, herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2004

Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Kommissariats der deutschen Bischöfe zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, Berlin 2006

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