| Pressemeldung | Nr. 023b

Aktuelle Fragen des Ausländerrechts und der Zuwanderungspolitik

Pressegespräch am 7. März 2006 in Berlin – Statement des Vorsitzenden der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Weihbischof Dr. Josef Voß, Münster

Es gilt das gesprochene Wort!

Kardinal Lehmann hat soeben einige Grundfragen der Migrationspolitik angesprochen und den Rahmen der aktuellen Diskussion umrissen. Ich kann mich deshalb darauf beschränken, die konkreten Probleme, mit denen wir es derzeit zu tun haben, etwas näher in den Blick zu nehmen.

Erstens: die Gefährdung des Schutzes von Ehe und Familie
Ehe und Familie sind Grundformen menschlichen Zusammenlebens, die in der heutigen Welt in besonderer Weise gefährdet sind. Sie finden deshalb immer wieder die besondere Aufmerksamkeit der Kirche. Dies gilt auch im Bereich der Migration. Gerade in Migrationssituationen nämlich sind Ehe und Familie oft stark belastet oder gar gefährdet. Sie bedürfen hier deshalb eines besonderen Schutzes. In der Debatte über das Zuwanderungsgesetz haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, das Nachzugsalter für Kinder nicht zu stark abzusenken. Heute müssen wir mit Besorgnis feststellen, dass die Regelungen zum Ehegattennachzug im Rahmen der Änderung des Aufenthaltsgesetzes verschärft werden sollen. Es ist geplant, das Mindestalter eines nachzugsberechtigten Ehepartners auf 21 Jahre zu erhöhen. Zudem sollen bereits vor dem Nachzug einfache Sprachkenntnisse nachgewiesen werden müssen. Zwar sind die in der Begründung zum Gesetzentwurf genannten Ziele – der Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie gegen Schein- und Zwangsehen – nachdrücklich zu begrüßen. Die vorgeschlagenen Regelungen sind aus unserer Sicht jedoch weder erforderlich noch geeignet, diese Ziele zu erreichen. So kann wohl kaum davon ausgegangen werden, dass Zwangsverheiratung für junge Paare, die das Recht auf Ehegattennachzug in Anspruch nehmen wollen, die Regel darstellt. Dennoch sind alle von der Regelung betroffen.

Darüber hinaus liegt die Festlegung eines Mindestalters für nachziehende Ehegatten erkennbar nicht im Interesse einer guten Integration. In der Diskussion um den Kindernachzug wird ja im Gegenteil immer über ein integrationspolitisch wünschenswertes Höchstalter gestritten. Den Ehegattennachzug an das Vorhandensein von (einfachen) Sprachkenntnissen bereits vor der Einreise zu knüpfen, ist ebenfalls kritisch zu beurteilen. Kein Zweifel: Solche Sprachkenntnisse sind wünschenswert. Aber wenn bei ihrem Fehlen der Nachzugsanspruch in der Regel ganz entfallen soll, so erscheint dies doch schlicht unverhältnismäßig, zumal in vielen Herkunftsländern gar kein adäquates Angebot zum Erlernen der deutschen Sprache vorhanden ist. Die Integration nachziehender Ehegatten sollte stattdessen u. a. durch Sprachkurse nach der Einreise gefördert werden. Es ist darüber hinaus in besonderer Weise fragwürdig, dass auch anerkannte Asylberechtigte oder Flüchtlinge bzw. ihre Ehegatten von den Regelungen betroffen sein sollen. Für die Situation dieser Menschen ist es ja gerade kennzeichnend, dass ihnen das Zusammenleben mit ihrem Partner im Herkunftsland regelmäßig unmöglich ist. Deshalb reicht es auch nicht aus, wenn diese Betroffenen auf Ausnahmeregelungen für Härtefälle verwiesen werden sollen.

Zweitens: die fehlende Bleiberechtsregelung
Nachdrücklich plädieren die Bischöfe weiterhin für eine Bleiberechtsregelung bzw. eine Altfallregelung für langjährig Geduldete. Bereits das geltende Zuwanderungsgesetz würde es unseres Erachtens bei entsprechender Auslegung in vielen Fällen erlauben, einen Aufenthaltstitel zu erteilen (§ 25 AufenthG). Dies entspräche durchaus auch der Intention des Gesetzgebers. Leider nutzen die Behörden ihre Ermessensspielräume jedoch fast ausnahmslos zuungunsten der Betroffenen. Ergänzend dazu plädieren wir zur Lösung juristischer Übergangsprobleme für eine Altfallregelung. Sie sollte vor allem jenen zugute kommen, die bereits lange in Deutschland geduldet sind bzw. auf absehbare Zeit nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Insbesondere gilt dies für Familien mit kleinen Kindern und für hier geborene bzw. aufgewachsene Jugendliche. Die Härtefallkommissionen der Bundesländer sind für diese Fälle kein geeignetes Instrument. Sie zielen auf atypische Einzelfallkonstellationen ab, durch die eine besondere Härte verursacht wird, die vom Gesetz nicht berücksichtigt ist. Zur Behandlung einer Vielzahl von Fällen sind sie weder gedacht noch ausgestattet.

Drittens: eine verschärfte Abschiebepraxis

Derzeit beobachten wir eine deutliche Verschärfung der Abschiebepraxis. Abschoben werden auch Familien, deren Kinder in Deutschland aufgewachsen oder sogar geboren sind. Manches Mal sind auch Jugendliche nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres von der Abschiebung betroffen, obwohl ihre Eltern ein Bleiberecht haben. So werden Familien getrennt. Besondere Härten ergeben sich auch bei der Abschiebung kranker oder traumatisierter Personen. Glaubwürdigen Berichten zufolge ist eine angemessene medizinische Begutachtung und Betreuung nicht in jedem Fall gewährleistet. Insbesondere psychische Erkrankungen gelten oftmals nicht als Abschiebehindernis; teilweise werden Menschen sogar direkt aus psychiatrischen Krankenhäusern heraus abgeschoben. Aus rechtsstaatlicher Perspektive bedenklich ist ferner, dass der Kontakt zu Rechtsanwälten während der Abschiebung in manchen Fällen anscheinend nicht gewährleistet ist. So deutet manches darauf hin, dass menschenrechtliche Mindeststandards, wie sie zum Beispiel in den Leitlinien des Europarats von 2005 kodifiziert sind, bei Abschiebungen nicht durchgängig beachtet werden. Für besonders problematisch halten wir die Ankündigung des Bundesinnenministers, die Ausreisepflicht in diesem Jahr forciert durchsetzen zu wollen. Wie bereits festgestellt, gibt es noch keine Lösung in der politischen Auseinandersetzung um ein Bleiberecht für langjährig Geduldete. Es ist deshalb zu befürchten, dass zahlreiche Menschen abgeschoben werden, die gegebenenfalls von einer großzügigeren Regelung profitieren würden.

Viertens: humanitäre und rechtliche Probleme mit der Abschiebehaft
Kardinal Lehmann hat bereits darauf hingewiesen, dass auch bei der Verhängung und Durchführung von Abschiebehaft aus rechtlicher und humanitärer Sicht Anlass zu Kritik besteht. Kirchliche Organisationen (insbesondere der Jesuiten-Flüchtlingsdienst) sowie unsere Gefängnisseelsorger dokumentieren seit langem problematische Zustände. Diese würden sich durch geplante Gesetzesänderungen sogar noch verschärfen.

Zunächst einmal ist festzuhalten: Abschiebehaft wird sehr häufig mit stereotypen Begründungen verhängt. Bei der überwiegenden Zahl der Haftfälle werden die „unerlaubte Einreise“ und der „begründete Verdacht“ angeführt, der Ausländer wolle sich der Abschiebung entziehen, also untertauchen. Die Schwelle für diesen Verdacht ist dabei sehr niedrig angesetzt. Es wird offenbar oft nicht in ausreichendem Maße überprüft, ob die Haft wirklich notwendig ist und ob es weniger einschneidende Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht geben könnte. Diese Situation wird sich künftig noch verschärfen, falls – wie geplant – die Ausländerbehörden auch ohne richterlichen Beschluss zur Festnahme ermächtigt werden. Auch zur „Durchbeförderung“ aus einem anderen EU-Staat soll unter bestimmten Bedingungen kein richterlicher Beschluss für die Haft erforderlich sein.

Problematisch ist zudem die Dauer der Haft. Sie kann maximal 18 Monate betragen. Für eine Haft, die zur Durchsetzung eines Verwaltungsaktes verhängt wird und ausdrücklich weder Straf- noch Beugehaft ist, ist dies außerordentlich lang. In der Praxis zeigt sich zudem, dass in einer ganzen Reihe von Fällen Menschen auch nach monatelanger Haft nicht abgeschoben werden können. Hier stellt sich in besonderer Weise die Frage nach dem Sinn der Haft und ihrer Verhältnismäßigkeit. Das Gesetz erlaubt auch die Inhaftierung besonders schutzbedürftiger Personen, etwa von Minderjährigen, Müttern mit kleinen Kindern und Schwangeren. Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die eine Inhaftierung für diese Menschen haben kann, ist hier besonders sorgfältig zu prüfen, ob eine Haft notwendig ist. Bisher ist das oftmals aber nicht ausreichend der Fall.

Gerade für Menschen, die sich lange in Abschiebehaft befinden, kommt der Ausgestaltung der Haftbedingungen große Bedeutung zu. Diese werden immer wieder als besonders belastend beschrieben: In vielen Abschiebe-Haftanstalten herrscht eine gefängnisähnliche Umgebung. Abschiebehäftlinge sind denselben Restriktionen unterworfen wie die Strafgefangenen, obwohl sie keine Straftaten begangen haben. Es gibt Defizite in der sozialen Betreuung und in der medizinischen Versorgung. Eklatant ist auch ein Mangel an sinnvollen Tätigkeiten. Besuchszeiten sind mancherorts auf wenige Stunden im Monat begrenzt. Auch eine ausreichende Rechtsberatung ist oft nicht gesichert, wenn nicht Rechtshilfefonds einspringen oder Anwälte ehrenamtliche Arbeit leisten.

Ich möchte abschließend festhalten: Angesichts all dieser Probleme, die hier nur in sehr geraffter Form zur Sprache gebracht werden konnten, zeigt sich erneut, wie notwendig es ist, die Migrationsdebatte nicht bloß in der Perspektive von Abwehr und Restriktion zu führen. In einem allgemeinen Klima der Angst vor Zuwanderern müssen die humanitären Belange, muss auch der Schutz von Ehe und Familie fast notwendigerweise Schaden nehmen. Am Ende werden wir so weder denen gerecht, die aus der Ferne zu uns gekommen sind oder kommen wollen, noch auch unserem Land. Eine Gesellschaft, der es an Großzügigkeit gegenüber den Bedürftigen fehlt, versteift sich in Kleinmütigkeit. Für eine gute Zukunft ist das keine brauchbare Voraussetzung.

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