| Pressemeldung

94. Deutscher Katholikentag in Hamburg, Sonntag 04. Juni 2000: "Sein ist die Zeit - Christen unterwegs in ein neues Jahrtausend"

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, in der Zentralen Eucharistiefeier um 9.00 Uhr auf dem Platz vor den Deichtorhallen

Hamburg 2000 war ein Katholikentag, wie wir ihn uns gewünscht haben. Die Kulissen auf dem Rathaus- und dem Fischmarkt, aber auch hier vor den Deichtorhallen, den alten Markthallen Hamburgs in unmittelbarer Nähe zu den großen Kontoren und dem Hafen zeigen, dass wir katholischen Christen ganz bewusst die Schnittstellen zwischen Kirche und Welt, Glaube und Moderne aufsuchen und uns den Fragen und Herausforderungen unserer Gegenwart stellen. Der Blick auf Schiffe und Werften gehört ebenso zu Hamburg 2000 wie die große Zahl vor allem auch wiederum junger Katholikentagsbesucher: Gerade ihr jungen Christen macht uns Mut für die Zukunft der Kirche! Ich möchte dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, besonders seinem Präsidenten, Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer, und allen Mitverantwortlichen sowie besonders auch den zahlreichen Helfern ein herzliches Vergelt's Gott sagen für diese zurückliegenden gemeinsamen Tage.
Ganz bewusst haben wir diesen Katholikentag in die Jahrtausendwende hineingestellt. Wir haben neu gespürt und nachgedacht: Die flüchtige Zeit, die uns zugleich an die unentrinnbare Vergänglichkeit erinnert, ist ein kostbares Geschenk für uns Menschen. Sie mahnt uns, dass wir die einmaligen Chancen unseres Lebens, die sich meist nie wiederholen, nützen und sie wie kluge Händler "auskaufen", wie die Heilige Schrift sagt. Indem Jesus Christus, Sohn des Vaters vor aller Zeit, Mensch und uns ganz nahe wurde, brachte er die "Fülle der Zeit" (Gal 4, 4). Sie hat unsere Geschichte und unser eigenes Leben verändert. Dieser Einschnitt ist so tief, dass wir unsere Zeit in die Abschnitte vor und nach seiner Geburt einteilen. Gerade dadurch ist uns aber die oft rasend davoneilende und den Menschen erschreckende Zeit menschenfreundlicher geworden. Darum gehört das Zeithaben heute zu den wichtigsten Gaben der Menschlichkeit. Viele menschlichen Beziehungen zerbrechen, weil wir füreinander keine oder zuwenig Zeit haben. Mit Recht hat uns deshalb der Heilige Vater in seinem Grußwort am Donnerstag entgegengerufen: "Seid großzügig im Schenken von Zeit! Schenkt einander Zeit: die Hirten ihren Gemeinden und die Gemeinden ihren Hirten, die Männer ihren Frauen und umgekehrt, die Kinder den Eltern, die Jungen den Alten, die Gesunden den Kranken, einer dem anderen. Wer dem anderen Zeit gibt, schenkt ihm Leben." Je größer die Beschleunigung unserer Zeit in unserem Leben wird, je rasanter alles abläuft, um so mehr gilt dieses Wort. Nehmen Sie diesen Anstoß mit an all die Orte zuhause, wo Sie leben und arbeiten: Schenken Sie einander Zeit!
Was hat uns diese Besinnung auf die Zeit und unsere Zeit in Hamburg gebracht? Wenn wir nicht einfach ein Spielball der Zeiten werden wollen, brauchen wir in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt elementare Orientierung. Sie muss länger sein als die Reichweite unserer Budgets und die Sitzungsperioden unserer Parlamente. So war es nicht erstaunlich, dass in Hamburg noch stärker als in Mainz die Suche nach religiöser und theologischer Orientierung im Vordergrund stand. Es waren nicht die üblichen klischee-haften Kirchenprobleme von Insidern, wie man uns nicht selten aufreden wollte. Freilich, auch darüber wurde diskutiert. Aber viel stärker hat uns die Sehnsucht getrieben, Ant-worten zu finden, wie man zum Glauben kommt. Wir haben uns gefragt, wie man angesichts der vielen fremden Nachbarn dem Glauben treu und zugleich tolerant sein kann, wie wir verlässlich zu einer noch größeren Einheit zwischen unseren Kirchen kommen können, wie die Geschlechter neu miteinander umgehen können. Diese Suche nach Sinn hat mehr Menschen angezogen, als manche wahrhaben wollen. Viele suchten offenbar hier auch deshalb nach Orientierungen, weil sie mehr wissen wollen, um Gespräche und Auseinandersetzungen darüber in der Familie, in Freundeskreisen und Gemeinden frucht-bar aus unserem Glauben heraus gestalten zu können. Es hat mich beeindruckt, wie bei aller Leidenschaft im Vertreten einzelner Positionen es doch eine hohe Bereitschaft zur Friedfertigkeit gab. Wir haben gelernt - ohne die Einheit zurückzusetzen -, besser mit der Vielfalt der Meinungen umzugehen. Für dieses Zeugnis danke ich Ihnen!
Wie könnten wir in einer Stadt sein, die Startort in das Weltmeer ist, ohne nicht zugleich an die Bedrängnis der Völker in aller Welt zu denken. Viele Schwestern und Brüder aus dem Ausland und der ganzen Weltkirche waren in diesen Tagen bei uns zu Gast und haben mit uns eine neue Sorge um Entwicklung und Frieden, vor allem aber auch um unser Verhältnis zu den Fremden in unserem Land geteilt, uns ermahnt und ermutigt. Auch dies gehört zu Hamburg 2000 und ist auf diesem Katholikentag sichtbar geworden. Wir haben neu gehört, dass es in der Schrift des Alten und Neuen Bundes unüberhörbar heißt: Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst! Den tiefsten Grund dafür nannte uns soeben der erste Johannesbrief: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (1 Joh 4, 16). Hier von Hamburg aus, wo die Katholiken anderer Muttersprachen ohnehin über ein Drittel ausmachen, muss ein neuer, überzeugender Einsatz gegen jede Fremdenfeindlichkeit ausgehen! Wir müssen neue Wege zur Regelung von Zuzug und Einwanderung schaffen, wie der Herr Bundespräsident es vor kurzem in seiner großen Berliner Rede forderte. Die innere Sicherung der Demokratie und die Sauberkeit von Politik haben uns darüber hinaus ebenso beschäftigt, wie die Zukunft des Sozialstaates, nicht zuletzt auch unserer sozialen Sicherungen und der Bildungsreform. Wir wollen uns als Kirche dieser Verantwortung für unsere Gesellschaft nicht entziehen, sondern bei der Gestaltung unserer Zukunft aus dem Glauben heraus tatkräftig mitwirken.
Ich glaube, in Hamburg ist auch zu einem guten Stück die Einsicht gereift, dass wir in Kirche und Gesellschaft mehr Mut zu uns selbst gewinnen müssen. Es wird in unserem Land an vielen Ecken und Enden viel Gutes geleistet, aber wir reden es oft zu Tode und zerstören in einer eigentümlichen, fast selbstmörderischen Lust, was eigentlich der Anerkennung und der Ermutigung bedarf. Wir brauchen gerade auch in der Kirche mehr Freude am Glauben und mehr Vertrauen zueinander! Wir sind auch bei schwierigen Konflikten, die uns beschäftigt haben, wie z.B. der Schwangerenberatung, bei allen Problemen, die noch auf uns lasten, weiter, als dass wir uns mit den alten Vorhaltungen die Köpfe einschlagen dürften. Wir brauchen einen neuen, kräftigen gemeinsamen Anlauf zum Schutz des Lebens. Wir brauchen keine Brandsätze, die ständig polarisieren, nach innen Missmut und nach außen den Hohn unserer Gegner hervorrufen. Von Hamburg muss ein neuer Aufschwung ausgehen in der lebenserhaltenden Beratung und in hilfreicher Unterstützung für schwangere Frauen und ihre Kinder. Und wir wollen dies noch viel intensiver mit den übrigen christlichen Schwestern und Brüdern in unserm Land machen, nicht zuletzt in der bald stattfindenden "Woche für das Leben".
Hamburg 2000 ist eine wichtige Zwischenstation für den Ökumenischen Kirchentag Berlin 2003. Noch nie waren wir bei einem Katholikentag in vielem so nahe beieinander. Dies ist auch eine Frucht langer geduldiger theologischer Arbeit; wie sie zum gemeinsamen theologischen Dokument über die Rechtfertigung führte. Wir wollen auf diesem Weg entschieden, aber auch verantwortungsvoll weitergehen. Ich habe gespürt und ich weiß, wie stark die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Herrenmahl lebendig ist. Aber auch eine heilige Ungeduld darf sich nicht herausnehmen, mit Willkür und Druck dieses Ziel vorwegzunehmen. Auch Luther hat sich gegen so etwas ausgesprochen. Und für jede begreifliche Suche nach einem Datum gilt auch hier bei aller Anstrengung von uns Menschen: Sein ist die Zeit! Wir dürfen jedoch nie mehr die dringende Bitte des Herrn in seinem Testament vergessen, wie sie im Evangelium von heute dringlich unser Ohr suchte: "Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir" (Joh 17, 11 b).
Das Symbol des Hamburger Katholikentags tragen wir mit der Sanduhr nach Hause in unser künftiges Leben hinein: die gute alte Sanduhr, aber im Logo unserer modernen Welt. Beides gehört eng zusammen. Wir wissen, dass unsere Zeit vergeht. Wir haben in vielem nicht mehr viel Zeit und dennoch bleiben wir mitten in der Vergänglichkeit gefasst und gelassen zugleich, denn wir wissen: Ein anderer hält unsere Zeit gütig in seinen Händen: Jesus Christus, Alpha und Omega, Anfang und Ende. Amen.

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